Olivier de Berranger

Überraschend starke Wirtschaft – Wo bleibt die Rezession?

Auch im ersten Halbjahr 2023 überraschten die Weltwirtschaft und insbesondere die G7-Staaten ohne Großbritannien durch ihre Widerstandsfähigkeit. Diese hatte bereits im Jahr 2022 für Erstaunen gesorgt. Trotz des Krieges in der Ukraine, der Energie- und Rohstoffkrise, der in zahlreichen Mitgliedstaaten zweistelligen Inflation, einer viel aggressiver als erwartet vorgehenden Europäischen Zentralbank (EZB) sowie US-Notenbank (Federal Reserve) und nicht zuletzt der zunehmenden Spannungen zwischen China und den USA hatte das Wachstum in der Eurozone 3,5 % erreicht. Das ist schlichtweg die drittbeste Leistung der Eurozone seit ihrer Gründung im Jahr 1999.

Die Entwicklung der US-Wirtschaft im ersten Halbjahr 2023 ist nahezu vergleichbar, wenngleich die Zahlen deutlich bescheidener ausfallen. Obwohl die meisten Ökonomen Ende letzten Jahres eine Rezession in den USA für die ersten Quartale 2023 prognostiziert hatten, reichten die zehn aufeinanderfolgenden Zinserhöhungen der Fed nicht aus, um eine solche Rezession herbeizuführen. Wie lässt sich also erklären, dass diese seit 30 oder 40 Jahren beispiellosen Zinsanhebungen die Inflation nicht eindämmen und einen starken Abschwung bewirken?

Über die Inflation sagte einst Karl Otto Pöhl, Präsident der Deutschen Bundesbank von 1980 bis 1991, sie sei „wie Zahnpasta: Ist sie erst mal heraus aus der Tube, bekommt man sie kaum mehr rein.“ Er trat 1991 als Präsident der Bundesbank zurück, da er mit Helmut Kohl zutiefst uneinig über die gleiche Parität zwischen der D-Mark des Westens und des Ostens nach der Wiedervereinigung war und eine langfristige Inflation für unvermeidlich hielt. Die deutschen Zinsen kletterten von 2,5 % Mitte 1988 auf 8,75 % im Juli 1992 – unmittelbar vor dem Referendum über den Vertrag von Maastricht – und zogen sämtliche europäischen Zinsen mit sich, was damals eine Rezession auslöste.

Zinserhöhungen im Dienstleistungssektor leichter zu verkraften

Heute ist allgemein anerkannt, dass nach einer Zinserhöhung mindestens 12 bis 18 Monate vergehen müssen, bis die Auswirkungen auf die Realwirtschaft spürbar werden. In den USA haben die Zinsen die Null seit gerade einmal einem Jahr und in der Eurozone seit etwas mehr als neun Monaten hinter sich gelassen. Außerdem wird dem Dienstleistungssektor, der oft weniger kapital- und damit weniger schuldenintensiv ist als der Fertigungssektor, in unseren hoch entwickelten Industrieländern immer mehr Bedeutung beigemessen, sodass eine Zinserhöhung insgesamt leichter zu verkraften ist. Des Weiteren hat sich die angelsächsische Welt, in der in der Vergangenheit zumeist variable Zinssätze für die Immobilienfinanzierung galten, eindeutig auf feste Zinssätze umgestellt. In Großbritannien zum Beispiel waren die Zinssätze 2011 bei 70 % der privaten Immobilienfinanzierungen variabel, während dies heute nur noch bei 10 % der Fall ist. Außerdem scheinen die Schwierigkeiten bei der Personalbeschaffung – in vielen Geschäftsbereichen eine Folge der Lockdowns – die Unternehmen eher dazu zu veranlassen, ihre qualifizierten Arbeitskräfte zu halten, obwohl womöglich ein Abschwung bevorsteht. Dadurch bleibt der Konsum auf einem höheren Niveau als erwartet.

Vor diesem Hintergrund, d. h. ohne die seit langem erwartete Rezession, weist das Halbjahr also eine sehr ansehnliche Börsenperformance aus: 38,8 % für den Nasdaq 100 – das beste erste Halbjahr seit 40 Jahren –, 15,9 % für den S&P 500 und 9,0 % für den MSCI Europe, womit das zweite Quartal in Europa deutlich schwächer ausfiel als in den USA.

Keine harte Rezession in Sicht

Unabhängig vom Ausmaß des bevorstehenden Wirtschaftsabschwungs, d. h. ob es sich um ein stagnierendes Wachstum oder eine Rezession handelt, spricht derzeit nichts für eine harte Rezession. Der Finanzsektor, der jeden deutlichen Rückgang traditionell verstärkt, ist trotz der beängstigenden Ereignisse bei SVB oder Credit Suisse nach wie vor solide. Wie üblich werden die Unternehmensergebnisse als Friedensrichter fungieren. Doch in den USA spricht die extreme Konzentration der Performance auf die GAFAM für eine Pause in der zweiten Jahreshälfte. Bei Kursrückgängen zu kaufen und bei deutlichen Zugewinnen zu verkaufen, könnte sich in den Sommermonaten bei solchen Mega Caps auszahlen, während Small und Mid Caps, insbesondere in Europa, unserer Ansicht nach vielmehr auf mittlere Sicht zu erwägen sind. Unternehmensanleihen – sowohl mit Investment Grade als auch Hochzinsanleihen – bieten in der Eurozone ein attraktives Risiko-Rendite-Verhältnis, während das Durationsrisiko nach der aktiven Zinserhöhungsphase sinkt.

 

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