Olivier de Berranger

Macroscope: Angst vor einer Rückkehr der Inflation – berechtigt oder übertrieben?

Während die Volatilität der Aktienmärkte laut dem VIX, dem „Angstindex“ der US-Börse, auf ihrem Tiefststand liegt, könnten die Schwankungen bei den Marktthemen kaum höher sein. Ende Dezember herrschte die weitgehend einhellige Meinung, dass das Thema Inflation nun der Vergangenheit angehöre und demzufolge ab der ersten Jahreshälfte 2024 mit zahlreichen Zinssenkungen zu rechnen sei. Keine zwei Monate später ist die Prognose für die erste Senkung bereits etliche Male in die Zukunft verschoben worden; und eine einzige schlechte Zahl zur US-Inflation im Januar reichte aus, um Befürchtungen einer erneuten Preisexplosion aufkommen zu lassen. Doch ist diese Angst wirklich gerechtfertigt?

 

Punktuelle Effekte in den USA verzerren Gesamtbild

Schauen wir uns zunächst die amerikanischen Zahlen an, die die Diskussionen um die Rückkehr der Inflation befeuert haben. Tatsächlich werden diese durch punktuelle Effekte verzerrt. Zum einen gibt es eine erstaunliche Feststellung bei der Komponente „Eigentümeräquivalente Miete“. Ihr monatlicher Anstieg war wesentlich stärker als in den vergangenen Monaten, obwohl die Dynamik der Mieten, mit der diese Komponente traditionell stark korreliert ist, deutlich nach unten tendiert. Eine statistische Inkohärenz, die wahrscheinlich in den nächsten Veröffentlichungen korrigiert wird. Auf einen Monat bezogen hat diese Komponente allerdings eine erhebliche Wirkung, da sie ein Drittel der Kerninflation ausmacht. Zum anderen erhielten die amerikanischen Daten auch durch ein erneutes Anziehen der Preise außerhalb des Wohnungssektors Auftrieb, was zum großen Teil auf jährliche Neubewertungen der Tarife für eine Reihe bestimmter Dienstleistungen zurückzuführen ist (Kfz- und Krankenversicherung, medizinische Dienstleistungen, Kindergärten usw.). Dieses Phänomen ist auf den Jahresbeginn konzentriert und kann somit kaum als Zeichen für einen anhaltenden Trend betrachtet werden. Wenn man die USA einmal außen vorlässt, stellt man zudem fest, dass die Disinflation allerorten mit zügigem Tempo voranschreitet, vor allem in Europa, aber beispielsweise auch in Kanada.

 

Disinflation schreitet zügig voran

Das weltweite Umfeld ist kaum förderlich für eine weitere deutliche Teuerung. Auf der Angebotsseite sind die Lieferketten – von den jüngsten Störungen im Roten Meer abgesehen – wieder zu ihrem Normalzustand zurückgekehrt. Die Weltwirtschaft lässt kaum Anzeichen einer Überhitzung erkennen – von der Deflation in China bis hin zu mehreren großen Volkswirtschaften wie Deutschland, Japan und Großbritannien, die sich in einer Rezession befinden. Auf der Nachfrageseite hält sich der Konsum in den USA zwar im Gegensatz zu den meisten anderen Industrieländern wacker; er wird jedoch kaum weiter zunehmen. Denn die Lohninflation geht weiter zurück, was eine Stagnation der Realeinkommen der Privathaushalte zur Folge hat. Die verfügbaren Ersparnisse sind gering und der verstärkte Rückgriff auf Kredite stößt an seine Grenzen, während der Zahlungsverzug bei Kreditkarten beständig zunimmt.

Auch wenn sich die Disinflation von Monat zu Monat etwas ruckartig entwickeln mag, ist der Trend damit in keiner Weise in Frage gestellt. Die Angst einiger Anleger vor einem erneuten Inflationsanstieg scheint ihren Ursprung somit eher in der schmerzlichen Erinnerung an die jüngsten Inflationsspitzen zu haben als in den tatsächlichen Fundamentaldaten. Wenn man etwas befürchten muss, dann ist es vor allem das Risiko, dass erneutes Gerede um die Inflation die Zentralbanken dazu veranlasst, zu lange bei einer restriktiven Haltung zu bleiben. Das könnte sich nachteilig auswirken und die zögerliche Konjunkturwende gefährden, die sich seit einigen Monaten abzeichnet.

 

 

Haftungsausschluss
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