Olivier de Berranger

Macroscope: Geldpolitik: Echte Wende oder kurzfristige Beruhigung?

Im vergangenen Dezember nahm der Vorsitzende Jerome Powell auf der letzten Fed-Sitzung des Jahres in seiner Rede eine ausgesprochen akkommodierende Haltung ein, die anschließend als Zeichen für die lang erwartete Wende in der Entwicklung der Geldpolitik interpretiert wurde. Eine unmittelbare Folge dieser Rede war, wie es hieß, auch eine „Entspannung der finanziellen Bedingungen“. Diese folgen seither trotz wieder steigender Zinsen und erneuter Inflationsängste genau diesem Entspannungskurs.

Doch was ist eigentlich genau mit „finanziellen Bedingungen“ gemeint? Meist werden damit verschiedene Indizes für die finanziellen Marktbedingungen gemeint. Hiervon gibt es zwar viele und jeder hat seine eigenen Besonderheiten, aber sie funktionieren doch alle mehr oder weniger auf dieselbe Art und Weise: Sie führen verschiedene Marktdaten zusammen, zu denen in der Regel auch der Stand oder die Bewertung der Aktienmärkte, die Risikoprämien auf den Anleihenmärkten, die Höhe der Nominalzinsen und die Wechselkurse gehören. All diese Indikatoren werden anschließend gewichtet, was häufig anhand ihrer vermeintlichen Auswirkungen auf die Dynamik des BIP geschieht. Das Konzept der „finanziellen Marktbedingungen“ suggeriert, dass finanzielle Indikatoren einen direkten Einfluss auf die wirtschaftliche Aktivität haben. Fest steht, dass ein Anstieg der Aktienmärkte – insbesondere in den USA, wo der Anteil des dort investierten Sparvermögens erheblich ist – einen positiven Vermögenseffekt hat, der sich wiederum günstig auf Konsum und Investitionen auswirkt. Eine Entspannung bei den Kreditrisikoprämien erleichtert die Finanzierung von Unternehmen, die im Wesentlichen über die Märkte erfolgt.

Unter diesem Gesichtspunkt ist es also verständlich, dass der Rückgang der Risikoprämien und die Stabilisierung der Zinssätze in den letzten Monaten, die von einer starken Rallye an den Aktienmärkten gekennzeichnet waren, einer Entspannung der finanziellen Marktbedingungen gleichkommt. Allerdings muss dieser eng mit den Aktienmärkten verbundene Begriff von den finanziellen Bedingungen der Realwirtschaft unterschieden werden. Hier kann von Entspannung keine Rede sein.

 

Privathaushalte unter Druck: Steigende Zinsen und schwache Nachfrage

In den USA stehen die Privathaushalte nach wie vor unter Druck. Der Zinssatz für 30-jährige Hypotheken – der Maßstab für den Immobilienmarkt – liegt immer noch über 7 %, und die Nachfrage nach Darlehen ist weiterhin äußerst schwach. Der durchschnittliche Zinssatz von Kreditkarten liegt immer noch deutlich über 20 %. Immer mehr Anträge auf Autokredite werden abgelehnt. Für Unternehmen, zumindest für die, die sich nicht an den Börsen finanzieren, sieht es kaum besser aus. Die jüngste KMU-Umfrage der National Federation of Independent Business zeigt, dass der durchschnittliche Zinssatz für kurzfristige Kredite mit 9,8 % auf dem höchsten Stand der jüngeren Vergangenheit liegt – so hoch wie seit Anfang der 2000er Jahre nicht mehr. In der Eurozone sieht es kaum besser aus. Die jüngste von der Europäischen Zentralbank (EZB) durchgeführte Bank Lending Survey lässt eine leichte Verbesserung bei Verbraucherkrediten und eine etwas deutlichere bei den Immobiliendarlehen erkennen. Dagegen schwächt sich die Kreditnachfrage der Unternehmen zunehmend ab, während sich die Kreditvergabebedingungen weiter verschärfen, wenn auch weniger stark als zuvor.

Während also an der Wall Street heftig darüber debattiert wird, ob die Zentralbanken ihre Geldpolitik ausreichend gestrafft haben und ob die finanziellen Bedingungen nicht zu sehr gelockert wurden, ist man sich an der Main Street einig: Die finanziellen Bedingungen sind und bleiben extrem restriktiv.

 

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