Olivier de Berranger

Macroscope : Die Mysterien Pekings

Paris, 14. Februar 2023 – Gerade noch schienen die diplomatischen Beziehungen zwischen Peking und Washington auf dem Wege der Normalisierung, da sagte US-Außenminister Antony Blinken seinen Besuch in der Volksrepublik in letzter Minute ab. Die Zerbrechlichkeit der chinesisch-amerikanischen Beziehung tritt wieder ans Tageslicht. Der Hauptgrund für diesen spontanen Rückzieher: Ein mysteriöser Ballon überflog in großer Höhe US-amerikanisches Territorium. Eine Meldung, die veranschaulicht, dass die Welt in Bezug auf China in so mancher Hinsicht im Dunkeln tappt.

So ist die Lage in Peking in Bezug auf das Thema Gesundheit nach wie vor äußerst intransparent. Wenngleich die Opferzahlen vor dem Hintergrund der Wiederöffnung der Wirtschaft noch nicht bekannt sind und es vielleicht auch niemals werden, spricht vieles für eine dramatische Bilanz.

Rückkehr der chinesischen Wirtschaft

Die Kehrseite der ebenso unvorhersehbaren wie brutalen Wiederöffnung ist die Aufhebung aller Hemmnisse für das korrekte Funktionieren der chinesischen Wirtschaft nach Abflauen der Epidemie. Einige schwache Signale deuten darauf hin, dass dies bereits der Fall ist. Die Nutzung der U-Bahnen und die Kinobesuche, der Verkehr in den Ballungszentren, Autoverkäufe: Die Entwicklung all dieser Indikatoren seit Jahresbeginn legt eine Rückkehr auf die Niveaus von vor der Krise nahe. Die chinesische Wirtschaft öffnet sich erneut; doch wird sie einen ähnlichen Boom erleben wie die der westlichen Länder nach der Aufhebung der Lockdowns im Jahr 2020? Das ist alles andere als sicher. Die Sparquote ist nach wie vor sehr hoch und bremst somit automatisch den Konsum. Im Januar waren die Erzeugerpreise mit –0,8 % gegenüber dem Vorjahr weiterhin rückläufig und niedriger als erwartet – ein Beleg dafür, dass die Spannungen in den Fertigungsprozessen noch spürbar sind. Die Verbraucherpreise sind im Jahresvergleich um 2,1 % gestiegen, halten sich also anders als die historischen Teuerungsraten in der Eurozone und den USA in Grenzen. Auch wenn sich die Umfragen zur Zuversicht der Unternehmen verbessern, lassen sie keinen allgemeinen Optimismus erkennen.

Geldhahn wird aufgedreht

Der geldpolitische Kurs ist hingegen klar. Im Gegensatz zu den restriktiven Maßnahmen, die nahezu in allen anderen Ländern der Welt umgesetzt werden, scheint die chinesische Zentralbank durchaus entschlossen zu sein, den Geldhahn aufzudrehen, um die Kreditvergabe anzukurbeln und der Erholung Auftrieb zu verleihen. Angesichts der gedämpften Inflation und einer moderat akkommodierenden Geldpolitik seit dem Ausbruch von COVID-19 verfügt das Institut über deutlich mehr Handlungsspielraum als seine Pendants, deren zuvor übermäßig akkommodierende Maßnahmen jetzt eine entschieden restriktive Haltung erfordern.

Lose-lose-Situation im Handel

Auf geopolitischer Ebene verbergen sich hinter dem „Spionage“-Ballon wahrscheinlich noch größere Absichten. Während der Wille zur Integration von Taiwan klar ist, besteht weniger Klarheit über die Mittel, die hierfür eingesetzt werden. Im Handel ist der kalte Krieg nach wie vor präsent: Auf der einen Seite schützen die westlichen Länder ihre Halbleiter und ihre Technologien; auf der anderen Seite errichtet Peking Schutzmauern, um seine Führungsrolle bei der Produktion der für die Energiewende maßgeblichen Photovoltaik aufrechtzuerhalten. Diese protektionistischen Maßnahmen führen aller Wahrscheinlichkeit nach zu einer Lose-lose-Situation. Die entscheidende Frage lautet, wer der größte Verlierer sein wird.

Für abenteuerfreudige Anleger sorgen Positionen in China angesichts der derzeit einzigartigen wirtschaftlichen und finanziellen Dynamik sicherlich für Diversifizierung im Portfolio. Zugleich sind sie jedoch riskant, da Peking den Rest der Welt über so vieles im Dunkeln lässt.

Von Olivier de Berranger, CIO bei LFDE

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