Clement Inbona

Macroscope: Europäische Aktien: Vom Rausch zum Kater?

Mitte Juni scheinen Aktien in der Eurozone eine leichte Korrektur zu verzeichnen. Oder ist das vielleicht nur eine gesunde Verschnaufpause? Der Euro Stoxx 50 büßte zwischen dem 17. Juni und 8. Juli knapp 4 % ein – über 2 % davon am letzten Tag. Doch bedeutet das schon das Ende der Party, die im November 2020 mit den ersten Corona-Impfstoffen begann? 

Nach einer Rally von über 40 % in nur wenigen Monaten wäre eine Verschnaufpause kaum überraschend. Seit November standen die Sterne so günstig, dass ein anderes Szenario kaum vorstellbar gewesen wäre. Eine extrem lockere Geldpolitik, Haushaltsausgaben in beispielloser Höhe, die Aussicht auf eine Erholung der Unternehmensgewinne, angehäufte Ersparnisse, aber vor allem die Rückkehr des Vertrauens der von monatelanger Depression erschöpften Marktteilnehmer – alle Zutaten für einen Hausse-Cocktail waren vorhanden. 

Drei Faktoren bremsen Erholungsrallye 

Doch seit einigen Wochen gibt es Missklänge in der Partitur. Dies ist auf drei besorgniserregende Faktoren zurückzuführen. In den USA beginnt die Fed damit, die Märkte auf ein Ende der Liquiditätsflut einzustimmen. Dies wurde zwar nur angedeutet, aber die Richtung ist klar. Zudem scheint die Euphorie über die Wiederöffnung der Wirtschaft allmählich abzuebben. Von einer Konjunkturschwäche kann zwar keine Rede sein, aber die positiven Überraschungen werden seltener. Es sieht ganz so aus, als würde die kräftige Erholung durch einen gemäßigteren Wachstumszyklus abgelöst. 

Des Weiteren erinnert uns die Delta-Variante jeden Tag daran, dass auch die Gesundheitskrise noch nicht bewältigt ist. Auch wenn durch die Impfkampagnen ein solider Damm gegen eine vierte Welle geschaffen wurde, ist dieser nicht hundertprozentig dicht. Dies zeigt das Beispiel Großbritanniens, wo trotz einer der weltweit höchsten Impfquoten die Fallzahlen immer weiter steigen. Die Impfung schützt zwar relativ gut vor den schlimmsten COVID-19-Verläufen, aber mit Blick auf eine virulente Mutation kann sie lediglich die Verbreitung eindämmen. In einer globalisierten Wirtschaft mit Produktionsketten, die sich über mehrere Länder erstrecken, kann ein erneuter, schwerer Ausbruch der Pandemie die Erholung lähmen und somit Lieferverzögerungen und höhere Kosten verursachen. Diese Hypothese scheint besonders für die Schwellenländer relevant zu sein, wo die Impfkampagnen weniger weit vorangeschritten sind als in den Industrieländern. 

Rückkehr zu konjunkturunabhängigen Wachstumswerten 

Ähnliches lässt sich bei genauerer Betrachtung der großen Indizes feststellen. Nachdem sich die Anleger im ersten Quartal auf gleichermaßen unterbewertete wie konjunkturempfindliche Titel gestürzt hatten, kehren sie allmählich zu Wachstumswerten zurück, die weitgehend unabhängig vom Konjunkturzyklus sind. Dies deutet auch darauf hin, dass die Anleger in den kommenden Monaten eine gewisse Vorsicht walten lassen werden. Der Markt mahnt also zu mehr Zurückhaltung und Selektivität bei Einzeltiteln und Assetklassen. Man kann zwar noch nicht von einem Kater sprechen, aber der leichte Rausch der Anleger lässt allmählich nach. 

 

Redaktionsschluss : 09.07.2021