Olivier de Berranger

Macroscope: EU-Aufbauplan endlich auf dem Weg – oder schon ?

Zehn Monate hat es gedauert, bis die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union den EU-Aufbauplan verabschiedet haben. Zehn Monate – das ist in einem derart turbulenten wirtschaftlichen Umfeld lange, für EU-Verhältnisse allerdings kurz. Blicken wir zurück auf den Hindernisparcours.

Die Verhandlungen hatten mit einem Zwist zwischen der großen Mehrheit der Staaten, die sich für eine solidarische Finanzierung aussprachen, und den sogenannten „sparsamen“ Ländern begonnen, die sich gegen eine Vergemeinschaftung von Schulden sträubten. Daraufhin machten Ungarn und Polen der Initiative der EU einen Strich durch die Rechnung, mit der Begründung, dass der Konditionalitätsmechanismus in Bezug auf die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards unerwünscht sei. Das Vorhaben stand somit eine Zeit lang auf der Kippe und geriet immer mehr in Verzug.

Ganz zu schweigen von dem neuen Hindernis, das der Beschluss des deutschen Bundesverfassungsgerichts darstellte. Von diesen unvorhergesehenen Ereignissen abgesehen konnte der Ratifizierungsprozess durch die Parlamente der 27 Mitgliedstaaten jedoch problemlos abgeschlossen werden. Die Union kann nun erstmals in ihrer Geschichte eigene Schulden aufnehmen. Die ersten Schecks könnten schon im Juli ausgestellt werden und die auf einzelstaatlicher Ebene eingesetzten Haushaltsmittel ergänzen. Binnen eines Jahres hat die Union somit durch die Einführung einer Art haushaltspolitischer Solidarität ihre Fundamente verstärkt. Aus der Sicht des europäischen Aufbauprojekts ist das eine sehr schnelle Entwicklung.

Haushaltspolitik: USA haben klar die Nase vorn

Aus Sicht der USA ist dies hingegen sehr lange und sehr dürftig. Sehr lange, weil von der Biden-Administration in weniger als sechs Monaten ganze drei umfangreiche Konjunkturpakete verabschiedet wurden: der American Rescue Plan (1,9 Billionen Dollar), der American Job Plan (2,0 Billionen) und der American Family Plan (1,8 Billionen). Aber das ist nicht alles. Der Haushalt der Biden-Administration für 2022 dürfte mit rund sechs Billionen Dollar ebenfalls historische Ausmaße erreichen. Im Vergleich zu dieser Summe fällt der europäische Plan äußerst dürftig aus: In den USA sind es 27 % des BIP, der EU-Aufbauplan macht dagegen „nur“ 5,6 % aus.

Wird der Dollar zum Problem für die USA?

Bisher spiegeln sich diese haushaltspolitischen Unterschiede noch nicht am Devisenmarkt wider, der relativ ruhig bleibt und keinen Trend zeigt. Das Euro/Dollar-Paritätsniveau beispielsweise ist im Vergleich zu den Januar-Kursen stabil. Aber die Vergrößerung sowohl des Haushalts- als auch des Handelsdefizits in den USA spricht in Anbetracht der sich in dem Land auftuenden Abgründe für eine Erosion des Dollar. Dagegen zeigt die nie dagewesene Stärke der chinesischen Währung, dass umgekehrt ein Handelsbilanzüberschuss und eine striktere Haushaltspolitik die Aufwertung einer Währung begünstigen können. Der bekannte Ausspruch „Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem“ des ehemaligen US-Finanzministers John Connally könnte sich daher zu „Der Dollar ist unsere Währung und unser Problem“ wandeln. Dieses Mal für die Amerikaner selbst und nicht mehr für ihre weniger verschwenderischen Partner.

Von Olivier de Berranger, CIO bei LFDE