Alexis Bienvenu

Macroscope: Gekommen, um zu bleiben: Inflation wird zum Politikum

Solange die Inflation in den vergangenen Jahren schwach war, war sie vor allem ein Thema der Geldpolitik – oder auch der Wirtschaftspolitik. Doch angesichts der jüngst erreichten Rekordwerte (6,2 % Inflation im Jahresvergleich in den USA im Oktober) wird sie zu einem brisanten und nunmehr in jeder Hinsicht politischen Thema. Das geht so weit, dass Joe Biden erklärt, die Inflation habe für ihn „höchste Priorität“, obwohl er sich bisher kaum dazu geäußert hatte.

Dass dieses Thema plötzlich Teil der Debatte geworden ist, liegt vor allem daran, dass es von den Notenbanken lange kleingeredet wurde und dies nun nicht mehr möglich ist. So betonte die USNotenbank Fed seit Jahresanfang unablässig, dass die angeblich vorübergehende Inflation kein Grund zur Besorgnis sei. Der Markt ist diesem Beispiel gefolgt und ließ die langfristigen Inflationserwartungen (Inflationsswaps) in diesem Jahr nicht über 2,7 % steigen. Die Zahlen, die sich im Gegensatz zu den Anlegern von den Aussagen der Fed unbeeindruckt zeigen, deuten jedoch auf eine nachhaltig hohe Inflation hin. Denn sobald der Basiseffekt gegenüber dem Lockdown von 2020 abgeklungen ist und selbst im äußerst unwahrscheinlichen Fall deutlich sinkender Energiepreise nach dem Winter sowie sich rasch auflösender Lieferschwierigkeiten in den Produktionsketten wird bei Löhnen und Immobilien in den USA eine Inflationsdynamik in Gang gesetzt, die kaum aufzuhalten ist. Dies gilt umso mehr, da ein Arbeitskräftemangel herrscht.

Die EZB schlägt die gleiche Richtung ein. Erst auf ihrer Pressekonferenz Ende Oktober gestand Präsidentin Christine Lagarde endlich die Bedeutung des Themas ein, um es dann doch wie ein Ereignis zu übergehen, das keine Maßnahmen erfordert. Allerdings brachten die privaten Haushalte mittlerweile ihre Besorgnis zum Ausdruck. In den USA attackierten die Republikaner das schließlich verabschiedete Infrastrukturprogramm von Joe Biden als Inflationstreiber bei den Rohstoffpreisen. Dies zwang den Präsidenten zum Gegenangriff, und er stellte sein Programm dank des verbesserten Güterverkehrs als inflationsdämpfend dar – ein wenig überzeugendes Argument, denn die Schwierigkeiten im Binnenverkehr sind wohl kaum die Ursache der aktuellen Inflation. In Europa karikierte die deutsche Boulevardzeitung Bild Christine Lagarde als „Madame Inflation“, die für die Sorgen und Nöte der ärmeren Haushalte wenig empfänglich ist.

 

Biden und EZB in der Zwickmühle

Das Feuer der Inflation hat bereits alle Stockwerke erfasst und muss laut Joe Biden mit Nachdruck bekämpft werden. Doch was kann er tun? Da wäre zunächst die Möglichkeit, Druck auf die Fed auszuüben, damit sie die geldpolitischen Bedingungen strafft. Aber dies ist weder im Sinne der Institutionen (was Trump in seiner Amtszeit allerdings nicht daran hinderte), noch wirksam angesichts der unabhängigen Position der Fed. Auch im Hinblick auf sein Konjunkturprogramm und seine Pläne für eine höhere Verschuldung ist dies nicht zielführend.

Eine weitere Option wäre, die von Trump auf chinesische Einfuhren verhängten Zölle zu senken. Dies wäre jedoch eine freundschaftliche Geste gegenüber Peking, die nicht auf Bidens Agenda steht. Er könnte die Unterstützung für Geringverdiener zurückfahren, doch das hieße, sich wenige Monate vor den Zwischenwahlen mit seiner Wählerschaft zu entzweien. Darüber hinaus könnte er die Energiewende im Land verlangsamen und die Erdölförderung unterstützen, was seinem ökologischen Engagement zuwiderliefe. Kurzum, er steckt in der Klemme. Gleiches gilt für die EZB. Sie hat sich verpflichtet, für sehr lange Zeit einen akkommodierenden Kurs zu verfolgen und muss mit aller Kraft die Schuldenlast Italiens abstützen, damit der Euro nicht zerbricht.

Die Inflation ist also gekommen, um zu bleiben, und weder die politischen Akteure noch die Währungshüter haben einen Feuerlöscher. Die Inflation lässt sich nicht ohne weiteres nach oben oder unten steuern, denn die Wirtschaft ist kein einfacher Mechanismus. Sie ist vielmehr ein eigenständiger Organismus, dessen Dynamik man nicht einfach so mit geldpolitischen Hebeln steuern kann. Ein politischer Organismus im wahrsten Sinne des Wortes, und nicht nur ein Thema der Geldpolitik.

 


 

Picking

INFINEON – angemessene Zuversicht

 

Aktuelles. Der deutsche Halbleiterhersteller meldete soeben einen Quartalsumsatz von 3,01 Milliarden Euro und übertraf damit das gesteckte Ziel von 2,9 Milliarden. Die Wachstumsaussichten sind insbesondere dank der Energiewende stark.

Unsere Analyse. INFINEON meldet für das letzte Quartal seines Geschäftsjahres 2021 sehr gute Ergebnisse, die die Erwartungen insbesondere mit einer kräftigen Steigerung der Marge übertreffen. Der Umsatz verzeichnet einen Anstieg um 21 %, während die operative Marge 10 % über dem Konsens liegt. Auch die Aussichten für das kommende Quartal und das Geschäftsjahr 2022 übertreffen die Erwartungen des Marktes. INFINEON setzt sein kräftiges Wachstum aufgrund zweier Themen fort: der Elektrifizierung und der Digitalisierung, mit der es über seine Produkte verzahnt ist. Überdies ist auch die Energiewende eine treibende Kraft für das Unternehmen, denn Photovoltaikzellen bestehen zu großen Teilen aus Halbleitern, welche die Sonnenergie aufnehmen und in Elektrizität umwandeln. Die Nachfrageexplosion bei den für die Erreichung der CO2-Neutralität notwendigen Solarprojekten ist daher äußerst förderlich für INFINEON. Auf der Konferenz nach der Ergebnismeldung zeigte sich die Geschäftsleitung besonders zuversichtlich, auch wenn das Jahr 2022 durch mangelnde Fertigungskapazitäten belastet sein wird. Aufgrund der kräftigen strukturellen Nachfrage steigt der Verkaufspreis im Bereich Leistungshalbleiter. Dies ist ein neues Phänomen, mit dem sich der Margenanstieg in diesem Jahr teilweise erklären lässt.

 

Fazit. Das Münchener Unternehmen bleibt zuversichtlich. Gestützt auf seine führende Position an den meisten seiner Endmärkte setzt INFINEON die Steigerung seiner Marktanteile und sein Wachstum fort. Seine Aktivität ist jedoch zyklisch, und die aktuellen Schwierigkeiten mit dem Komponentenmangel verstärken diese Eigenschaft. Dies erklärt aus unserer Sicht seine absolut angemessene Bewertung mit dem 15-fachen EBITDA 2022.