Über den Wert der Dinge

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Die quantitative Lockerung spielt mittlerweile sowohl im Alltag als auch im Geschehen an den Märkten eine wichtige Rolle: Es vergeht kein Tag, an dem nicht ihre positiven oder negativen Folgen kommentiert werden. Dabei wird dieser Mechanismus von den Zentralbanken erst seit 2008 im großen Stil eingesetzt.

Die Effekte der quantitativen Lockerung sind unterschiedlich: Die geldpolitische Strategie Japans stößt inzwischen zweifellos an ihre Grenzen, und die japanische Zentralbank scheint im Moment der Versuchung zu widerstehen, immer mehr zu probieren. Die europäische Wirtschaft hängt am Tropf der EZB: Der Zustand des Patienten verschlechtert sich zwar kaum, aber die Genesung geht nur langsam voran. Janet Yellen(2) wiederum befindet sich auf einer schwierigen Gratwanderung, indem sie den Märkten zuflüstert, dass die US-Zinsen, sofern die Bedingungen es zulassen, sich normalisieren müssen…

Wenn man sich die drei großen Regionen anschaut, die akkommodierende geldpolitische Strategien ausprobiert haben, fällt sofort  etwas auf, das Wasser auf die Mühlen ihrer Kritiker ist und dies gleichermassen in Japan, Europa oder den Vereinigten Staaten: Mit diesen neuartigen Strategien gelang es zwar, die Geldmenge zu erhöhen, aber die Umlaufgeschwindigkeit(3) des Geldes ist völlig unerwartet so stark zurückgegangen, dass sie in Bezug auf die Preise das Gegenteil dessen bewirkte, was erwartet worden war. Mit Blick auf die Bewertungen der US-Unternehmen könnte man sogar behaupten, dass Dow Jones und Standard and Poor’s von der im Überfluss vorhandenen Liquidität gut profitiert haben. In welchem Ausmaß? Oder, um die Frage anders zu formulieren: „Wie sähe es an den Märkten ohne die Unterstützung der Fed aus?

Eine mögliche Antwort darauf haben vor kurzem zwei Volkswirtschaftler der Fed gegeben:(4) Sie berechneten einfach, wie hoch die Performance der US-Märkte gewesen wäre, wenn man die Performance an den Tagen, an denen die Fed ein Meeting durchführt, durch die durchschnittliche Performance in diesem Zeitraum ersetzt. Ihre überraschende Schlussfolgerung: Bis 1985 hätte ein Markt ob mit oder ohne Fed-Meeting die gleiche Wertentwicklung verzeichnet. Allerdings wäre die Marktperformance ab 1985 bis heute um 25% geringer gewesen, wenn man die Wertentwicklung an Tagen mit Fed-Meeting durch den Durchschnitt ersetzt hätte. Dass die Verlautbarungen der Zentralbanken Auswirkungen auf die Börsendaten hatten, steht folglich außer Zweifel: „Am Anfang war das Wort“… Genauso wie am Ende!

Bei genauerer Betrachtung des Beobachtungszeitraums stellt man außerdem fest, dass der Effekt im Zeitraum zwischen 2008 und 2012 am größten war. Das ist auch logisch, denn auf den Überraschungseffekt von 2008 folgte ein Größeneffekt, da die ergriffenen Maßnahmen sehr umfangreich waren. Seit 2012 lässt dieser Effekt jedoch deutlich nach; dies spiegelt mit Sicherheit einen Gewöhnungseffekt und eine gewisse Ermüdung der Beteiligten wider, die heute immer öfter Anreize brauchen, um zu reagieren.

Für uns als Anleger ist diese Ermüdung ein weiteres Indiz, das unsere Paranoia gegenüber den großen Gewinnern der quantitativen Lockerungspolitik, den berühmten „schönen, gut bewerteten Wachstumsmodellen“, verstärkt. Gleichzeitig ist er für uns auch ein Anreiz, uns wieder für einige Titel zu interessieren, die wir vernachlässigt haben und die von den Strategien der Zentralbanken „vergessen“ wurden. Anders ausgedrückt: Wir sollten wie unsere angelsächsischen Freunde wieder mehr auf den „Call Value“ achten.

Didier Le Menestrel

(1) „De la valeur des choses“ 1 und 2, Briefe vom Nov. 1996 und Feb. 2008
(2) Präsidentin der US-Notenbank (Fed)
(3) Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes (V) hängt gemäß folgender Gleichung von der verfügbaren Geldmenge (M), dem Betrag des geschaffenen Reichtums (P) und dem Produktionsniveau (Q) ab: [M x V = P x Q]
(4) The Pre-FOMC Announcement Drift, Federal Reserve Bank