Neuer Jahrgang

Der Zufluss der von den Zentralbanken ausgeschütteten Liquidität, das Abhandenkommen „risikoloser Renditen“ und die Risikoscheu traditioneller Banken haben letztendlich Unternehmen auf ihrer Suche nach Finanzierung an die Börsen gelockt.

Mit über 30 Mrd. EUR, die seit Jahresbeginn in 120 Operationen (ELIOR, WORLDLINE, ISS, APPLUS usw.) in Westeuropa aufgenommen wurden, feiern Börsengänge (oder englisch „IPO“ für Initial Public Offering) in praktisch allen Wirtschaftssektoren ein bemerkenswertes Comeback. Von risikoreicheren Projekten im Biotechnologiesektor (GENTICEL, TXCELL, THERACLION) bis hin zu ausgereifteren Unternehmen in traditionellen Wirtschaftszweigen (EURONEXT, STABILIUS, SCANDI STANDARD) ist 2014 schon jetzt ein guter Jahrgang für Anleger, die neue Projekte immer mit Begeisterung aufnehmen.

Doch wie beim Wein gibt es für diese Operationen gute und schlechte Jahrgänge! Anders als althergebrachte Vorstellungen nahelegen, war die Performance von IPOs, die in jüngster Zeit unter schwierigen Marktbedingungen durchgeführt wurden, bemerkenswert. Ende Juni 2014 belief sich die durchschnittliche Wertentwicklung der 2004 (dem Jahr der Erholung der weltweiten Märkte) an die Börse gebrachten Unternehmen auf +105,7 % und lag damit auf einer Linie mit der Performance (+67,8 %) des Jahrgangs 2010. Zu den gelungensten Beispielen zählen ILIAD (die Muttergesellschaft von FREE) mit einem Plus von 1 350 % seit dem Börsengang im Jahr 2004 oder die spanische Gruppe AMADEUS (+180 %) und das deutsche Unternehmen BRENNTAG (+177 %), zwei Neueinsteiger aus dem Jahr 2010, die ihr ursprüngliches Projekt auf bemerkenswerte Weise umgesetzt haben.

Auf der anderen Seite sind die Wertentwicklungen der auf dem Zyklusgipfel börseneinführten Werte in der Regel recht enttäuschend, was sich am Minus von 29,6 % für den Jahrgang 2007 ablesen lässt. Zu dieser Zeit machten die Anleger den erneuerbaren Energien „schöne Augen“ und waren bereit, all diese Projekte blind zu finanzieren. Die meisten dieser Unternehmen sind seither in Konkurs gegangen (Q-CELLS und SOLON in Deutschland) oder haben katastrophale Kursentwicklungen hingelegt wie THEOLIA (-90 %) in Frankreich. Wenn Geld zu leicht zu haben ist, verlieren Unternehmen und Anleger ihren Scharfsinn, und zu stark verschuldete (AIR BERLIN -90 %, REALIA -75 %) oder zu hoch bewertete Projekte (die spanische Pressegruppe VOCENTO -80 %) verzeichnen letztendlich spektakuläre negative Wertentwicklungen.

Vorsicht, Objektivität und gesunder Menschenverstand müssen daher die Leitlinien bei der Bewertung dieser immer vielversprechend wirkenden Neueinsteiger sein. Zu den besonders nützlichen Lektionen aus der Erfahrung gehört es, dass es von entscheidender Bedeutung ist, die langfristige Vision der Unternehmensleiter von dem Projekt und die objektiven Gründe für den Börsengang zu hinterfragen. Natürlich sollte man auch nicht vergessen zu prüfen, welches Eigeninteresse die Unternehmensleiter am Erfolg des Projekts haben und welchen Anteil am Kapital sie neben den neuen Aktionären halten.

Zahlreiche IPOs wurden zu riesigen Erfolgsstories an der Börse wie BENETEAU (1984), EUROFINS SCIENTIFIC (1997), GEMALTO (2004) und in jüngerer Zeit NUMERICABLE. All diese Erfolge haben eines gemeinsam: Manager (Gilles Martin bei EUROFINS SCIENTIFIC, Olivier Piou bei GEMALTO) und Aktionäre (Annette Roux bei BENETEAU, Patrick Drahi, Eigentümer von NUMERICABLE) mit Visionen, die es verstanden haben, ihre Gruppe umzugestalten, um Führungspositionen in ihren jeweiligen Sektoren einzunehmen.

Die Finanzmärkte haben ihre Aufgabe sehr gut gemacht, diese Unternehmensleiter, die sehr früh ihr Projekt, ihre Märkte und ihre Ziele erkannt hatten und alle eine klare Vision von ihrer Zukunft hatten, zu fördern und zu beflügeln.

Eric Tabarly* hat einmal gesagt „Vertrauen ist ein wichtiger Faktor – ohne Vertrauen gelingt kein Projekt“. Fügen wir dem hinzu, dass ein Börsengang ein langfristiger Vertrag ist, der eine gute Portion Vertrauen seitens der Anleger erfordert, aber vor allem auch Substanz dieser neuen Börsenprojekte und Beständigkeit ihrer Skipper!

Didier Le Menestrel

*Französischer Skipper (24 Juli 1931 – 13 Juni 1998)