Befindet sich der Markt im Rausch?

Jamie Dimon, CEO bei JP MORGAN, ist begeistert: Das Unternehmen, dem er vorsteht, gibt für 2014 einen Rekordgewinn in Höhe von 22 Milliarden Dollar bekannt. Die Zahl ist umso spektakulärer, als die Bank 2013 und 2014 verschiedene Geldstrafen in Höhe von insgesamt 25 Milliarden Dollar begleichen musste. GOLDMAN SACHS befindet sich auf ähnlichem Wege: Mehrere Geldstrafen hindern die Investmentbank nicht an einem stattlichen Gewinn für das vergangene Jahr und an einem rekordartigen ersten Quartal 2015 mit 2,7 Milliarden Dollar Gewinn. Die Krise des Jahres 2008 ist nicht vergessen, aber die amerikanische Finanzwelt sitzt von nun an fest im Sattel. In wenigen Jahren hat die Bankenbranche in den USA mit der massiven Hilfe der Federal Reserve den Weg von „back to business“ zu „business as usual“ gefunden und steht heute „better than usual“ da (1).

„Better than usual“ ist ungewöhnlich und Jamie Dimon, der sich über die Ergebnisse seines Unternehmens freut, unterstrich die Risiken einer übermäßigen Volatilität auf den Märkten. Ist diese Paranoia zu einem Zeitpunkt, an dem die Börsenindizes behaglich schnurrend aufwärts streben, nicht übertrieben? Das ist gar nicht so sicher. Zwei der jüngsten Marktereignisse haben uns in Erinnerung gerufen, dass die Volatilitätsspitzen äußerst brutal sein können. Am 15. Januar schwankte der Schweizer Franken in weniger als einer halben Stunde um 35 % (infolge der Aufhebung der Kursbindung seitens der Schweizerischen Nationalbank). Am 15. Oktober 2014 schmolz die Rendite zehnjähriger amerikanischer Anleihen in wenigen Minuten von 2,21 % auf 1,86 %, bevor sie zwei Stunden später zum Normalwert zurückkehrte.

Insbesondere auf diesem Anleihenmarkt entsteht heute ein merkwürdiges Gleichgewicht. Die noch immer zunehmende, von den Zentralbanken bereitgestellte Liquidität geht mit einer Schwächung der Liquidität auf den Märkten einher, die sie aufnehmen. Mit dem Wort Liquidität werden zwei verschiedene Realitäten beschrieben: erstens die Geldmenge und zweitens die Fähigkeit der Akteure, Marktpreise zu bieten. Die Liquidität des Marktes lässt sich quantitativ ermitteln, indem man Angebot und Nachfrage zu einer bestimmten Anlage beobachtet. Um bei den zehnjährigen amerikanischen Staatsanleihen zu bleiben: Laut Schätzungen lagen die drei besten Angebote und Nachfragen 2007 zusammen genommen bei 500 Millionen Dollar. Auf den aktuellen Märkten ist diese Zahl auf 125 Millionen Dollar gefallen. Ein großer Käufer oder ein großer Verkäufer hätte daher heute mehr Schwierigkeiten, einen Geschäftspartner zu finden, als früher.

Auf dem Markt für Unternehmensanleihen besteht derselbe Trend. Man geht davon aus, dass die Positionen der Market Maker auf ein Viertel geschrumpft sind und dass die Liquidität weiter abnimmt. Der Grund für diesen Rückgang ist im regulatorischen Umfeld zu suchen. Wenn wir von einer Rückkehr zum „Business as usual“ im Bankensektor sprechen, ist das stark verkürzt. Die Realität ist komplexer und die nach 2008 eingeführten Regelungen hatten starke Vorgaben für die Risikoprofile der Banken zur Folge. Das neue Umfeld verringerte in hohem Maße ihre Fähigkeit, Preise zu liefern und sich Akteuren auf dem Markt als Geschäftspartner anzubieten.

Angesichts der Politik der Europäischen Zentralbank (mit Ausnahme eines massiven griechischen Ausrutschers) bestehen wenig Chancen, dass die Akteure der Eurozone die Aufnahmefähigkeit der Märkte in den kommenden Monaten testen werden. Warum also nach einem Notausgang suchen, so lange das Orchester noch spielt?

Das Risiko, dass sich Ereignisse wie das vom 15. Oktober mittelfristig wiederholen, ist hoch. Anschwellende Kapitalmassen und Preisanbieter, denen die Hände gebunden sind… Man wird sich dann an die Worte eines Traders bei Salomon Brothers erinnern: „The market is extremely liquid except when you want to trade“(2).

Didier Le Menestrel

(1) Ärmel hochkrempeln!/Alles läuft rund/Welch freudige Überraschung!

(2) Der Markt ist extrem liquide, nur nicht, wenn man handeln will.