Seien wir ehrlich!

Während der Rinderwahn-Krise Anfang der 1990er-Jahre entschied sich die Regierung, französisches Rindfleisch mit „VBF“ („Viande Bovine Française“, französisches Rindfleisch) zu kennzeichnen, um die Verbraucher angesichts der Epidemie von spongiformer Rinderenzephalopathie (BSE) bei britischen Rindern zu beruhigen. Die Zertifizierung der Herkunft und Gewährleistung der Rückverfolgbarkeit der Rumpsteaks und anderen Teile des Rinds sollten den französischen Verbraucher zum einen informieren und ihm zum anderen die Qualität seines Tellerinhalts garantieren.

Heute wird derselbe Verbraucher dazu ermuntert, nicht nur ausschließlich Produkte aus Frankreich zu essen, sondern auch nur in Frankreich hergestellte Produkte zu kaufen. Eine Botschaft, die von 2/3 der Franzosen gut aufgenommen wird. So wären Letztere laut einer Studie von Crédoc(1) aus dem Jahre 2011 bereit, für nationale Produkte einen höheren Preis zu zahlen. Paradoxerweise wäre dies bei den Unternehmen nicht der Fall, da sich laut der Unternehmensberatung AgileBuyer(2) nur 19 % der Unternehmen zum Ziel setzen, Produkte mit dem Label „Made in France“ zu kaufen. Schlimmer noch: Die französischen Unternehmen äußern schwerwiegende Gründe, warum sie ihren Bedarf nicht bei ihren Landsleuten decken: „zu klein, finanziell schwach, strenge Sozialvorgaben, nicht wettbewerbsfähig, wenig solidarisch untereinander…“.

Sicherlich besteht zum Beispiel kaum Zweifel an der bretonischen Herkunft des maritimen Modeherstellers Armor Lux aus Quimper (1938 von dem Deutsch-Schweizer Walter Hubacher, einem Weltbürger der seiner Zeit voraus war, gegründet). Nicht umsonst wird das Unternehmen gerne vom Minister für Produktivitätsaufschwung stolz als Beispiel angeführt. Deutlich schwieriger ist es da schon für einen „mündigen und bewussten“ Verbraucher oder ein „patriotisches“ Unternehmen festzustellen welche Produkte dank Ihrer Herkunft die Wirtschaftstätigkeit des Landes antreiben.

Wir alle wissen zum Beispiel, dass am Standort von TOYOTA in Valenciennes die Yaris-Modelle für den europäischen Markt produziert werden. Wie vielen ist aber bewusst dass der japanische Hersteller kürzlich in die Produktionskapazitäten vor Ort investiert hat, um dort 25.000 derselben Yaris-Modelle für die Märkte in Amerika, Kanada und Puerto Rico herzustellen? Der Gipfel des Absurdität ist, dass TOYOTA derzeit der erste und einzige Autohersteller ist, der das Label „Origine France Garantie“(3) erhalten hat, während diese Kennzeichnung den Fahrzeugen von RENAULT oder PSA im Moment noch vorenthalten wird.

Eine andere Region Frankreichs, ein anderes Beispiel: Wir freuen uns, dass die Schiffswerft in Saint-Nazaire von der Reederei Royal Caribbean Cruise Line einen Milliardenauftrag über den Bau eines Kreuzfahrtriesen von 361 Meter Länge im Umfang von mehr als 10 Mio. Arbeitsstunden erhalten hat. Dürfen wir daran erinnern, dass die besagte Werft STX Europe einem koreanischen Konzern gehört, der aus demselben Land stammt wie HYUNDAI, das letzten September des Sozialdumpings bezichtigt wurde?

Festzustellen ist, dass der „nationale Charakter“ eines Unternehmens oder Produkts heutzutage vielmehr ein Medienkonzept als ein echtes Wirtschaftskonzept ist. Die Globalisierung ist eine Realität der Geschäftswelt. Dagegen anzukämpfen, ist vergebens. Ein Flaggschiff der französischen Wirtschaft wie z. B. L’OREAL (69.000 Mitarbeiter in 130 Ländern auf fünf Kontinenten) veröffentlicht nicht einmal mehr den Anteil seiner in Frankreich beschäftigen Mitarbeiter noch den seiner in Frankreich realisierten Umsätze … Neben dieser Globalisierung beschleunigt auch die Entwicklung der digitalen Wirtschaft das Verblassen von geograpischen Gebieten zugunsten des Einzelnen. Diese rasante Entwicklung stellt laut Michel Serres(4) „eine Revolution dar, wie sie die Menschheit in diesem Umfang bislang nur zweimal erlebt hat“.

Diese Revolution bleibt für die Volkswirtschaften unserer Industrieländer nicht ohne Folgen und versetzt die Politik und all diejenigen noch immer in Schrecken, die darin einen Verlust ihrer Privilegien und Vorteile sehen. Ein nachvollziehbarer, aber auf kurzfristige Sicht auch sehr schädlicher Reflex: Unsere Regierungen können nur davon profitieren, wenn sie verstehen und akzeptieren, dass das Reichtum von morgen in allen Teilen der Welt – in Asien wie auch in Afrika – mit mündigen, bewussten Konsumenten geschaffen wird, denen die digitale Welt zur Verfügung steht.

Seien wir ehrlich und nicht „typisch französisch“. Die Zukunft von „Made in France“ ist sehr durchmischt!

Didier LE MENESTREL
in Zusammenarbeit mit Olivier de Berranger BERRANGER

(1) www.credoc.fr/pdf/4p/239.pdf
(2) Les Echos Business – 03.01.2013
(3) La Tribune de l’Auto – 03.09.2012
(4) Journal du dimanche – 30.12.2012