Olivier de Berranger

Macroscope: Verzweifelte Suche nach Mitarbeitern

 

Von Olivier de Berranger, CIO bei LFDE

 

Wenn es einen ökonomischen Aspekt gibt, der in Prognosen oft vernachlässigt wird, dann ist es die Analyse des Arbeitsmarktes. Dieser wird oft als Spätindikator für das Wachstum betrachtet. Weil Untersuchungen jedoch eher selten und spät erfolgen, wird der Arbeitsmarkt in vorausschauenden Analysen recht stiefmütterlich behandelt. Das könnte sich in den kommenden Monaten ändern. In der Tat könnte der Arbeitsmarkt der nächste Treiber der steigenden Inflation sein und dieser einen weiteren „Fieberschub“ bescheren. In erster Linie erweist er sich womöglich als Katalysator einer Lohn-Preis-Spirale: Der bestehende Preisdruck erzeugt Druck auf die Löhne, die ihrerseits Druck auf die Verbraucherpreise ausüben usw.Starker Druck auf dem ArbeitsmarktDer Arbeitsmarkt ist derzeit in allen bedeutenden Industrieländern zunehmend angespannt. So lag die Arbeitslosenquote in den USA im März laut den vom Arbeitsministerium veröffentlichten Statistiken mit 3,6 % nur knapp über dem Niveau vor der Pandemie von 3,5 %, was wiederum einen Rekordwert seit Ende der 1960er Jahre darstellt. Auf diesen Niveaus herrscht auf dem Arbeitsmarkt gleichermaßen Vollbeschäftigung und starker Druck. Denn in nur zwei Jahren vollzogen sich, mit der zunehmenden Digitalisierung und der als „Great Resignation“ bekannten Kündigungswelle in den USA, parallel zur Gesundheitskrise massive Veränderungen. Die Arbeitsnachfrage entwickelte sich schnell weiter, während das naturgemäß wenig flexible Angebot tendenziell unbeständig oder zumindest von hohen Ansprüchen geprägt war.Ein besonders eindrucksvolles Beispiel liefert WALMART: Der amerikanische Einzelhandelsriese bietet LKW-Fahrern heute bis zu 110.000 USD, um sie für sich zu gewinnen – ein Lohnniveau, das dem von jungen Hochschulabsolventen entspricht. In Europa ist man von Vollbeschäftigung noch etwas weiter entfernt, doch auch hier nimmt die Anspannung am Arbeitsmarkt von Quartal zu Quartal zu. Die Arbeitslosenquote liegt derzeit bei 6,8 % – das niedrigste Niveau seit Beginn der Erhebungen durch Eurostat im Jahr 1998. Auf Ebene der einzelnen Staaten ist überdies zu beobachten, dass die Länder mit der höchsten Inflation oft die niedrigste Arbeitslosenquote aufweisen, so zum Beispiel Deutschland, Ungarn und Polen.Zu ähnlichen Feststellungen gelangt man auf einer eher mikroökonomischen Ebene. So sprach der Chef des großen Zeitarbeitsunternehmens Manpower jüngst von einem erheblichen „weltweiten Mangel an Talenten“.Zu diesen konjunkturellen Spannungen gesellt sich ein Katalysator: die Demografie. In Ländern mit alternder Bevölkerung gehen die Babyboomer nach und nach in Rente und können auf dem Arbeitsmarkt nicht vollständig ersetzt werden.Was bedeutet das?Für Arbeitnehmer ist diese Situation zunächst einmal günstig, weil sie bei Lohnverhandlungen ein neues Kräfteverhältnis zwischen ihnen und den Arbeitgebern schafft. Sollten die Löhne noch höher ausfallen als die Preissteigerungen, würde sich zudem ihre Kaufkraft erhöhen.Für Unternehmen gestaltet sich die Suche nach Talenten immer schwieriger. Personalbeschaffung und -bindung werden für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit immer wichtiger, vor allem im Dienstleistungssektor, wo die Arbeitskräfte zugleich die Haupteinkommensquelle und der bedeutendste Kostenfaktor sind. Eine der größten Schwierigkeiten besteht für Unternehmen im Erhalt ihrer Margen.Auch auf die Zentralbanken kommt eine neue Herausforderung zu: die Bekämpfung der Inflation. Sie könnten versucht sein, einen noch restriktiveren geldpolitischen Kurs einzuschlagen, um eine inflationäre Lohn-Preis-Spirale zu stoppen. Damit würden sie allerdings die Vollbeschäftigung aufs Spiel setzen.Für die Regierungen ist die gute Beschäftigungslage eine außerordentlich erfreuliche Nachricht, da hierdurch ihre Einnahmen steigen und zugleich die Kosten im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit sinken.Die Rückkehr zur Vollbeschäftigung ist für viele eine Chance; eine Herausforderung ist sie für alle.

 

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