Olivier de Berranger

Macroscope: Growth vs Value: Jede Vorherrschaft hat ein End

 

Die Bewertung von Unternehmen ist das tägliche Brot der Börsenakteure. Bei so vielen Beteiligten könnte man erwarten, dass der Wert eines Unternehmens immer in etwa richtig ist. Das ist jedoch bei weitem nicht der Fall – zumindest aus Sicht der Fondsmanager, die sich auf jene Wertpapiere konzentrieren, die mit Blick auf ihre Gewinne oder Bilanz am günstigsten sind. Für sie ist ein Großteil der Indizes deutlich unterbewertet, zumal sich der Trend zu Kursabschlägen bei den vernachlässigten Wertpapieren seit mehr als 10 Jahren verstärkt. Denn seit ihrem Hoch im Jahr 2007 haben die Indizes der als „günstig“ bezeichneten Unternehmen (Value im Finanzjargon), da sie einen nicht in ihrem Preis ausgedrückten Wert bieten, gegenüber den als „Wachstumstitel“ bezeichneten (im Vergleich zu ihren Gewinnen teureren) Unternehmen quasi nicht an Boden verloren. Wie bei den sozialen Ungleichheiten haben sich auch die Ungleichheiten bei der Bewertung von Börsentiteln verstärkt: Der Sieger bekommt alles!

 

Comeback der Value-Titel könnte bevorstehen

Hierfür gibt es gute Gründe: Ein innovatives Unternehmen mit hoher Wachstumsrate verdient einen teureren Preis, vor allem, wenn ein nachhaltiges Wachstum erwartet wird. Die Prämienhöhe bei den teuersten Unternehmen ist jedoch vom gesamtwirtschaftlichen Umfeld abhängig. Dieses Umfeld könnte sich ändern und möglicherweise einer strukturellen Verschiebung weg von der Dominanz der teuer erscheinenden Titel hin zu den mit Abschlag gehandelten Titeln den Boden bereiten.

2021 wurden mehrere Anzeichen für diesen möglichen Wandel sichtbar. Auch wenn sich in Europa die typischerweise teuren Wachstumstitel aus dem Technologiesektor sehr gut entwickelten, hatte der lange Zeit vernachlässigte Bankensektor die Nase vorn. Seit Jahresbeginn ist dieser Trend noch deutlicher.

Sehen wir bei den Bewertungen den Auftakt zu einer Gegenbewegung? Diese tausendfach gestellte Frage verursachte tausend Strohfeuer und dies könnte schlicht das tausendunderste sein. Manche Aspekte des Marktes lassen jedoch vermuten, dass es nun tatsächlich anders kommen könnte.

 

Drei Gründe für den Wandel

Erstens, weil fast alle Zentralbanken in unterschiedlichem Maße die Verringerung ihrer Anleihekäufe oder sogar wie die Fed einen Zinsanhebungskurs beziehungsweise die Verringerung ihrer Anleihebestände eingeläutet haben. Bei einem Zinsanstieg müssen die teuersten Titel, die ihren Preis durch ihr langfristiges Wachstum rechtfertigen, diesen durch zusätzliches Wachstum ausgleichen, um nicht an Attraktivität zu verlieren. Nicht alle können das. Daher ist eine sorgfältige Auswahl umso wichtiger.

Zweitens, weil bei der Inflation ein strukturelles Wachstum droht. Zwar dürfte die aktuelle, ungewöhnlich hohe Inflation bald wieder abflauen, könnte danach jedoch auf einem Niveau verharren, das über jenem der vergangenen Jahre liegt. Die Gründe sind vielfältig: weniger Globalisierung aufgrund des Konflikts zwischen den USA und China, Quasi-Vollbeschäftigung in den USA, steigende Nachfrage nach Öl bei schwierigerer und immer weniger finanzierter Förderung, wahrscheinlicher Preisanstieg bei den für die Energiewende unverzichtbaren Metallen usw. In einem inflationären Umfeld steigen die Zinssätze tendenziell, auch wenn dies weder automatisch noch sofort geschieht. Die bloße Unsicherheit in Bezug auf die Höhe der langfristigen Zinssätze führt zu höheren Ansprüchen an die Bewertungen. Auch hier sollte die Titelauswahl noch sorgfältiger erfolgen.

Darüber hinaus hat jede Vorherrschaft ein Ende. Wissenschaftliche Studien zeigen auf lange Sicht keine Vorteile durch Investments in die teuersten Werte – im Gegenteil. Eines Tages wird es also zu einer Neuausrichtung kommen müssen. Bei einigen, insbesondere den Platzhirschen im Technologiesektor aus den USA und China, könnte dies durch den aktuellen Druck seitens der Politik ausgelöst werden, mit dem ihre Vormachtstellung und somit ihr Reiz für die Börsianer begrenzt werden sollen.

Wenn diese Veränderung eintritt, bedeutet das nicht, dass alle teuren oder innovativen Unternehmen abgestraft werden: Es wird immer eine Prämie für aufgehende Sterne geben, und das fördert die Innovation. Der Markt basiert auf diesem Reiz und noch mehr auf der menschlichen Natur. Dies lässt einigen seit langem vernachlässigten Titeln jedoch eine Chance. Die Stunde der „Gerechtigkeit für alle“ bei den Bewertungen könnte geschlagen haben.

 


Picking

 

WORLDLINE. Marktführer in idealer Position für die Konsolidierung des europäischen Zahlungsmarktes.

 

Aktuelles | Auch wenn 2021 für den französischen Marktführer bei Zahlungsdienstleistungen keinem langen, ruhigen Fluss glich, halten wir nach einer gründlichen Analyse der Underperformance des Titels die Bedenken am Markt bezüglich der Perspektiven der Gruppe übertrieben.

Unsere Analyse |  Die Unternehmensaktie verzeichnete im 4. Quartal 2021 einen Kursabsturz, der sich nach unserer Auffassung durch die Bedenken über das Wettbewerbsumfeld, eine ganz leicht unter den Erwartungen liegende Ergebnisveröffentlichung für das 3. Quartal und die gemeldete Verzögerung bei der Veräußerung der Zahlungsterminalsparte von Ingenico, dem Weltmarktführer für Zahlungslösungen, erklären lässt. Seit dem Sommer 2021 erlebten die traditionellen Akteure des Sektors einen markanten Stimmungswechsel unter den Anlegern (De-Rating), der durch Sorgen um den Verlust von Marktanteilen an Neulinge wie z. B. Adyen oder Square insbesondere im E-Commerce ausgelöst wurde. Letztere weisen nach der Gesundheitskrise sehr starke Wachstumsraten auf, während Wordline, Visa und Paypal aufgrund der höheren Abhängigkeit von Ausgaben im Tourismusbereich leicht unter den Erwartungen liegende Ergebnisse melden. Ein Teil der jüngsten Underperformance ist demnach nicht strukturell, sondern konjunkturbedingt. Darüber hinaus erscheinen uns die von den Neulingen erreichten Bewertungsniveaus überzogen und sind selbst unter Berücksichtigung der starken Wachstumsaussichten nur schwer zu rechtfertigen. Ferner wurde der mittelfristige strategische Plan von WORLDLINE vom Markt als enttäuschend eingestuft. Uns erscheint er jedoch ebenso solide wie glaubwürdig. Das Unternehmen geht von einer Beschleunigung des organischen Wachstums von 9-11 % im Zeitraum 2022-2024 sowie von einer Verbesserung der EBITDA-Marge um 400 Basispunkte auf 30 % bis 2024 aus. Diese Dynamik wird mit der Integration des Geschäfts von Ingenico vornehmlich von der Sparte Merchant Services sowie durch die geografische Expansion und Zugewinne von Marktanteilen bei Kleinstunternehmen und KMU getragen werden.

Fazit | Die Konsolidierung des Zahlungsmarktes in Europa ist noch lange nicht abgeschlossen, und WORLDLINE könnte als Marktführer künftig noch weitere große Transaktionen ankündigen. All diese Faktoren zeigen die Entkopplung der Bewertung von den Fundamentaldaten der Gruppe und rechtfertigen aus unserer Sicht die attraktive Bewertung des Titels.