Olivier de Berranger

Macroscope: Kommt nach der Inflation die Schönwetterfront zurück?

2022 standen die US-Finanzmärkte ohne jeden Zweifel ganz im Zeichen der Inflation und des Kampfes, den die US-Notenbank (Fed) gegen sie führte. Wie wird das 2023 aussehen?

Zinswende bereits eingepreist

Mithilfe der Daten zur US-Inflation im Dezember lässt sich die gesamte Preisentwicklung über das Jahr 2022 nachvollziehen. Die Prognosen waren absolut richtig, auch wenn das nicht die Regel ist. Das deutet darauf hin, dass die Ökonomen – nachdem sie zunächst auf Sicht gefahren waren und das Ausmaß und die Hartnäckigkeit des Drucks auf die Preise unterschätzt hatten – die Feinabstimmung ihrer Modelle optimiert haben. So liegt der Anstieg der Verbraucherpreise in den USA bei 6,5 % über das Jahr hinweg. Dies ist ein deutlicher Rückgang, nachdem er im Juni einen Spitzenwert von 9,1 % erreicht hatte.

Die Prognosen für die kommenden Quartale deuten in dieselbe Richtung. Ab März dieses Jahres wird der Beitrag von Energie zum Preisniveau deutlich negativ sein, sofern es nicht zu einem erneuten Höhenflug der Ölpreise kommt. Es liegt nicht fern anzunehmen, dass die Fed angesichts der sich stabilisierenden Inflation ihre restriktive Haltung aufgeben wird. Die Zinsmärkte haben diese Annahme bereits eingepreist, indem sie das Ende des Zinsanhebungszyklus im zweiten Quartal vorwegnehmen. Noch vor Jahresende soll ein Zinssenkungszyklus folgen.

Die herausragenden Wertentwicklungen von Aktien zu Beginn dieses Jahres sowie der Rückgang der Risikoprämien von Anleihen und der risikofreien Zinssätze spiegeln eine größere Transparenz im Hinblick auf den geldpolitischen Kurs der Fed wider. Diese Transparenz war lange durch die unvorhersehbaren Nebenwirkungen der in der Coronakrise ergriffenen Maßnahmen beeinträchtigt.

Was könnte Anlegern und Märkten 2023 als Kompass dienen?

In nur wenigen Wochen beginnt die Berichtssaison und die Ergebnisse der Unternehmen im vierten Quartal und ihre Prognosen werden genau unter die Lupe genommen. Daran orientieren sich auch die Märkte. Wenngleich die Finanzanalysten ihre Erwartungen bereits nach unten korrigiert haben – sowohl für das vierte Quartal 2022 als auch für das Gesamtjahr 2023 –, könnte eine Welle enttäuschender Veröffentlichungen die Aktien auf Talfahrt schicken. Sollten sich die Unternehmensergebnisse hingegen als robuster erweisen als erwartet, würden sie den Aktienmärkten Auftrieb verleihen.

In den nächsten Monaten wird es eher die derzeitige Erwartung einer sich verlangsamenden Konjunktur sein, die die Wertentwicklungen der wichtigsten Assetklassen bestimmt. Zwar geht aus den Umfragen eine Schwäche der Aktivität auf Unternehmensseite hervor, jedoch gibt es auch Sicherheitsnetze wie die Vollbeschäftigung, eine nur mäßige Verschuldung und das Vertrauen der Verbraucher. Diese Faktoren fangen den Konsum der Privathaushalte, der der wichtigste Motor des US-Wachstums ist, auf und wirken einer Konjunkturabkühlung entgegen.

Die Szenarien sind zwar durchaus wahrscheinlich, aber wir sollten nicht vergessen, dass sich die Entwicklung der Finanzmärkte grundsätzlich nur schwer vorhersagen lässt. Schließlich sind die Märkte in den vergangenen Jahren von so unwahrscheinlichen Ereignissen wie der COVID-19-Pandemie oder der Invasion Russlands in die Ukraine erschüttert worden. Somit wäre allein schon ein weniger von äußeren Einflüssen gestörtes wirtschaftliches Umfeld ein unterstützendes Element.

 

Von Olivier de Berranger, CIO bei LFDE