Olivier de Berranger

Macroscope : Finanzmarkt : Vernunft in Zeiten des Argwohns

Paris, 21. März 2023 – Die Bewegungen an den Zinsmärkten in den vergangenen Tagen waren von historischem Ausmaß. Der 2-jährige US-Zinssatz fiel von 5 % am 8. März dieses Jahres in nur einer Woche auf 3,9 %. Derartige Entwicklungen lassen sich nur mit der Systemkrise von 2008 vergleichen. Die Gründe liegen auf der Hand. Im Sog der jüngsten Insolvenz von drei regionalen US-Banken mit Verbindungen zu kalifornischen Start-ups oder Kryptowährungen überkamen die Anleger Zweifel an der Verfassung anderer destabilisierter Banken, etwa der Credit Suisse in Europa oder der First Republic Bank in den USA. Sie stürzten sich auf sogenannte risikofreie Anlagen und trennten sich von Bankwerten – auch von den solidesten unter ihnen – und das, obwohl diese Vermögenswerte in den vergangenen Monaten stark oder vielleicht sogar übermäßig zugelegt hatten.

Unvorhersehbarkeit ist einzige Gewissheit

Ein klassischer Fall. Doch die Heftigkeit der Bewegungen hat die Gemüter geprägt. Argwohn machte sich breit. Sollte uns eine neue Bankenkrise bevorstehen? Es wäre vermessen, das Gegenteil zu garantieren. Denn die Unvorhersehbarkeit ist die einzige Gewissheit im Finanzwesen, vor allem nach derart kräftigen Leitzinsanhebungen wie denen, die in jüngster Zeit stattgefunden haben. Doch wenngleich – gerade an der Börse – eine gesunde Portion Skepsis nicht schaden kann, fragt man sich, ob genereller Argwohn gerechtfertigt ist.

Die von den Banken mitgeteilten Informationen, die von den Aufsichtsbehörden gründlich geprüft wurden und somit grundsätzlich vertrauenswürdig sind, deuten darauf hin, dass sich die derzeitigen Spannungen überwinden lassen. In den USA betreffen sie im Wesentlichen nicht systemrelevante Akteure, die zu Zeiten des billigen Geldes und der Lockerung der Regulierung für kleine Banken unter Präsident Trump von der Expansion des Technologiesektors profitiert haben. In Europa war bis letzten Sonntag lediglich die Credit Suisse betroffen. Nach ihrer Übernahme durch die UBS scheint in Europa nun aber kein systemrelevanter Akteur mehr in Schwierigkeiten zu sein – wobei man natürlich nie weiß, was die Zukunft bringt.

System bis zu gewissem Grad geschützt

Aber selbst wenn eine weitere Großbank plötzlich bis dato unbemerkte Schwachstellen aufweisen würde, bleibt eines unbestreitbar: Der Banken- und Versicherungssektor wurde durch die nach der Krise von 2008 weltweit ergriffenen Vorsichtsmaßnahmen erheblich gestärkt. Das bedeutet nicht, dass er ganz und gar unerschütterlich wäre. Doch es bedürfte schon eines starken Sturms, um das System ernsthaft ins Wanken zu bringen. 2008 schützt uns – bis zu einem gewissen Grad – vor seiner eigenen Wiederholung.

Wenngleich sie nachgelassen haben, bleiben die aktuellen Spannungen nicht folgenlos für die übrige Wirtschaft. Die mittelgroßen US-Banken könnten mit einer strengeren Regulierung konfrontiert werden, um eben das Insolvenzrisiko im Falle eines Sturms zu verringern, allerdings um den Preis einer Reduzierung ihres Kreditangebots. Die Demokraten haben bereits einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Angesichts der politischen Kräfteverhältnisse in den USA hat es zwar kaum Chancen auf eine Verabschiedung, aber es bringt doch eine Wende in der Geisteshaltung zum Ausdruck. Weniger profitable Banken, die weniger Kredite vergeben, wären auch weniger geneigt, die kühnsten Unternehmen zu finanzieren, die aber in bestimmten Fällen gerade den Erfolg der Wirtschaft ausmachen. Sie wären aber vielleicht auch weniger bereit, die am stärksten verschuldeten Unternehmen zu unterstützen, die mitunter aber von entscheidender Bedeutung für die übrige Wirtschaft sind, was beispielsweise an erster Stelle den US-Gewerbeimmobilienmarkt betreffen könnte. Auch die privaten Haushalte könnten diese Kreditverknappung zu spüren bekommen, und das zu einer Zeit, in der sie durch explosionsartig gestiegene Kreditkosten in Schwierigkeiten stecken.

Finanzierungsprobleme verschärfen sich weiter

Diese von innen oder von außen aufgezwungene Kreditverknappung käme einer neuerlichen Verschärfung der geldpolitischen Bedingungen gleich. Dies könnte die Zentralbanken davon abhalten, ihre Zinsen soweit anzuheben wie erwartet. So rechnet der Markt nach der Anhebung auf 3 % am 16. März heute beispielsweise nicht mehr mit einer weiteren Zinserhöhung durch die Europäische Zentralbank, während er noch vor kurzem von einem Zinssatz von bis zu 4,5 % ausging. Eine Beendigung der Zinsanhebungen wäre angesichts der galoppierenden Inflation überraschend. Doch die Tatsache, dass sich ein solches Szenario nicht gänzlich ausschließen lässt, zeigt bereits, dass wir uns an einem Wendepunkt befinden.

Sicher scheint, dass sich die Finanzierungsprobleme in den kommenden Monaten auf vielfältige Weise verschärfen werden – durch Zinserhöhungen oder eine erhöhte Vorsicht der Banken – und dass die Auswirkungen spürbar sein werden.

Wenngleich ein genereller Argwohn nicht zu rechtfertigen ist, sollte man aktuell bei problematischeren Projekten durchaus Vernunft walten lassen.

Von Olivier de Berranger, CIO bei LFDE

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