Olivier de Berranger

Macroscope: Auf der Suche nach dem verlorenen Wachstum

Wurde Anfang des Jahres für 2022 noch mit einem weltweiten Wachstum von 4,4 % gerechnet, liegen die Konsensschätzungen von Bloomberg jetzt bei 3,3 %. Dabei hatte alles so gut angefangen. Im Dezember schloss die Weltwirtschaft ein historisches Jahr 2021 mit einem Wachstum von 6,1 % ab, angetrieben von der Erholung nach der Coronakrise. Auch für das Folgejahr standen die Zeichen auf Aufschwung.Drohender Stillstand: Bricht das Wachstum nun ein?Seit einigen Monaten stottert der Wirtschafts-Motor. Die russische Invasion in der Ukraine hat zunächst das Vertrauen der Privathaushalte und der Unternehmen belastet und damit auch die Inflation weiter befeuert. Hinzu kommt die verschärfte Infektionslage in China, welche die von Peking im Rahmen seiner Null-Covid-Politik errichteten Schutzwälle erneut zunichte machte. Die Auswirkungen auf die Angebotsseite sind fatal: die Fabriken befinden sich weltweit im Leerlauf und die bereits seit zwei Jahren gestörten Produktionsketten werden zusätzlich blockiert. Damit wird der Binnenkonsum der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt gedrosselt und das mit verheerenden Konsequenzen für das chinesische sowie das weltweite Wachstum.Abgesehen von diesen exogenen Faktoren breitet sich die Inflation Monat für Monat weiter aus und droht, eine Lohn-Preis-Spirale auszulösen. Diese Gefahr führte unweigerlich zu Reaktionen der großen Zentralbanken, deren vorrangiges Ziel die Kontrolle der Inflation ist. Als unmittelbare Folge dieser Haltung sind die finanziellen Bedingungen in den vergangenen Monaten deutlich restriktiver geworden. Von nun an wird es kostspieliger für Haushalte, ihre Immobilienkäufe zu finanzieren, und für Unternehmen, die Mittel für ihre Investitionsprogramme aufzubringen. Auch die Schuldenlast der Staaten könnte allmählich wieder zunehmen, nachdem sie jahrelang zurückgegangen ist.Die wirtschaftliche und geldpolitische Lage sowie die diesbezüglichen Aussichten haben sich also seit Jahresbeginn kontinuierlich verschlechtert. Das hat erhebliche Rückgänge nach sich gezogen, sowohl bei den großen Assetklassen, als auch bei den als ausfallsicher geltenden Staatsanleihen. Wenngleich die Wachstumsaussichten für die kommenden Monate düster bleiben, liegt das für 2022 erwartete Weltwirtschaftswachstum dicht an seinem langfristigen Potenzial. Das Wachstum bricht ein, aber nicht ab.Was könnten also – da man ja nicht immer von dem Schlimmsten ausgehen sollte – die Katalysatoren für einen Aufschwung von Wirtschaft und Börsen sein?Geldpolitik bleibt entscheidendDie Geldpolitik bleibt ein entscheidender Faktor für die Bewertung von Finanzanlagen. Heute wird sie als entschieden restriktiv betrachtet. Die Märkte gehen für dieses Jahr von elf Zinserhöhungen von 0,25 % durch die Fed aus und erwarten vier Zinsschritte seitens der EZB. Ein leichter Rückgang der Inflation oder auch nur die Hoffnung auf einen leichten Rückgang könnte sich als Katalysator für einen Aufschwung der Börse und der Wirtschaft erweisen – mit einer Lockerung der finanziellen Rahmenbedingungen. Hierzu müsste sich die Inflation erst einmal stabilisieren, bevor sie dann allmählich zurückgeht. Trotz des aktuell hohen Niveaus zeichnet sich für die US-Inflation diese Aussicht ab.Eine Lösung des Russland-Ukraine-Krieges könnte sich zudem vorteilhaft auf die Inflation und auch auf das Vertrauen auswirken. Dies ist aus heutiger Sicht zwar eine eher unwahrscheinliche, jedoch nicht völlig ausgeschlossene Hypothese. Bei einem zunehmenden Rezessionsrisiko, das für die USA auf 30 % über das Jahr hinweg geschätzt wird (gegenüber 15 % zu Jahresbeginn), könnte der Druck auf die Preise durch die Nachfrageseite nachlassen. Dies würde der öffentlichen Hand haushaltspolitischen Handlungsspielraum verschaffen – und das ohne die Gefahr einer dauerhaften Inflationsspirale.Auf Regen folgt bekanntlich Sonnenschein. Die große Frage ist allerdings, wann dies der Fall sein wird. Die Antwort darauf ist nicht einfach. Kundige Anleger sind hier mittelfristig im Vorteil. Die besten Börsengeschäfte macht man nicht, wenn klar ist, was die Zukunft bringt – ganz im Gegenteil.

 

 

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