Enguerrand Artaz

Macroscope: 90 Tage Unsicherheit, Achterbahn-Markt dürfte sich fortsetzen

Von Enguerrand Artaz, Investmentstratege bei LFDE

Paris / Frankfurt am Main, 15.04.2025 – Vor einigen Monaten waren die Rekordstände der US-Aktien in den Schlagzeilen der Finanzpresse. In den letzten Wochen ist das Grün in den Performance-Tabellen einem leuchtenden Rot gewichen, aber die Wall Street setzt weiterhin historische Meilensteine. Nach den Zollankündigungen von Donald Trump an seinem “Liberation Day” brach der S&P 500 innerhalb von zwei Tagen um 10,5% ein, was den größten Rückgang in einem so kurzen Zeitraum seit der Pandemie darstellt. Ein Phänomen, das seit den 1930er Jahren nur fünfmal beobachtet wurde. Am 8. April erlebte der Leitindex der US-Börse eine der brutalsten Trendumkehrungen seiner Geschichte, als er in den ersten Handelsstunden um 4% zulegte, kurz vor Börsenschluss jedoch um fast 3% fiel. Am nächsten Tag, nachdem der US-Präsident eine 90-tägige Pause bei den reziproken Zöllen angekündigt hatte, schoss der Nasdaq um 12% in die Höhe und verzeichnete damit den drittgrößten Tagesgewinn in der Geschichte. Im Laufe des darauffolgenden Tages löschte er zwei Drittel dieses historischen Aufschwungs vorübergehend wieder aus.

Achterbahn-Markt als Zeichen des völligen Orientierungsverlustes

Dieser schwindelerregende Achterbahnmarkt begeistert Händler und lässt Anleger verzweifeln. Er ist vor allem ein Zeichen dafür, dass die Marktteilnehmer mit einem völligen Orientierungsverlust konfrontiert sind. Hinzu kommt der Vertrauensverlust, wie das Verhalten der sicheren Häfen zeigt. Am vergangenen Freitag durchbrach Gold die Marke von 3200 US-Dollar pro Unze und erreichte neue Rekordwerte, während der Yen die Marke von 143 Yen für 1 US-Dollar durchbrach und damit auf den höchsten Stand seit September 2024 stieg, als die Angst vor einer bevorstehenden US-Rezession ihren Höhepunkt erreichte. Die gleiche Logik gilt für den Schweizer Franken, der sich gegenüber dem Greenback auf dem höchsten Stand seit der Staatsschuldenkrise im Jahr 2011 befand.

Keine Planbarkeit ohne Spielregeln

Dieser Vertrauensverlust der Anleger ist natürlich auf den völligen Mangel an Sichtbarkeit zurückzuführen, der durch die erratische Politik von Donald Trump hervorgerufen wird. Er ist aber auch ein Spiegelbild der Ungewissheit, in der sich die Unternehmen befinden und deren Auswirkungen weitaus tiefgreifender sind. Für Goldman Sachs ist es sicherlich unangenehm, sein Wirtschaftsszenario[1] innerhalb weniger Stunden in Frage stellen zu müssen, doch das ist nur ein Federstrich. Für ein Unternehmen, das bereits Aufträge storniert, prognostizierte Lagerbestände aufgebaut oder seine Belegschaft angepasst hat, ist es nicht so einfach. Wie soll ein Chef auch nur eine Prognose erstellen, einen strategischen Plan ausarbeiten oder einen Fahrplan umsetzen, wenn sich die Spielregeln innerhalb weniger Tage in absurdem Ausmaß ändern können? Zu Beginn der traditionellen Saison der Quartalsergebnisse von Unternehmen können wir uns die Verwirrung der Führungskräfte vorstellen, wenn sie ihre Prognosen für das ganze Jahr oder auch nur für das nächste Quartal aktualisieren müssen.

Zollpause verlängert Zeit der Unsicherheit für Unternehmen, Verbraucher, Investoren

Mehr noch als die direkten Auswirkungen der höheren Zölle ist es vielleicht der Vertrauensverlust, der die größte Bedrohung für die Wirtschaft darstellt. Eine der Folgen des Vertrauensverlusts ist Stillstand. Es gibt nichts Schlimmeres für die Wirtschaft als Unternehmen und Haushalte, die wie gelähmt vor lauter Nebel nicht mehr investieren oder konsumieren. Die von Donald Trump mit großem Pomp angekündigte 90-tägige Pause bei den reziproken Zöllen ändert daran nichts. Zum einen, weil aufgrund der Eskalation mit China parallel zum Aufschub für andere Länder der durchschnittliche Zollsatz in den USA weiterhin bei rund 25% liegt. Zum anderen, weil die 90 Tage, die angeblich den Abschluss von Handelsabkommen ermöglichen sollen, in Wirklichkeit nur die Zeit der Unsicherheit verlängern. Sowohl Unternehmen als auch Anleger sind in der Lage, sich an jede noch so unangenehme Situation anzupassen, aber ein Mindestmaß an Sichtbarkeit ist erforderlich. Ohne Sichtbarkeit gibt es kein Vertrauen. Und ohne Vertrauen wird weiterhin Vorsicht geboten sein, sowohl im Verhalten der Unternehmen als auch an den Märkten.

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[1] Am Nachmittag des 9. April aktualisierte Goldman Sachs seinen Wirtschaftsausblick für die USA und machte eine Rezession zu seinem zentralen Szenario. Weniger als eineinhalb Stunden später, nachdem Donald Trump eine 90-tägige Pause bei den gegenseitigen Zöllen angekündigt hatte, machte die Bank einen Rückzieher und nahm die Rezession aus ihrem zentralen Szenario heraus.