Rolando Grandi

Space 2.0: Paradigmenwechsel durch Raketenrecycling

Nach fast drei Tagen im Weltraum ist die Raumkapsel „Crew Dragon Resilience“ am 18. September von ihrem zweiten Raumflug zurückgekehrt und vor der Küste Floridas gelandet. An Bord befanden sich Amateurastronauten, die zum ersten Mal überhaupt nach einigen Tagen im Weltraum die Erdumlaufbahn erreicht hatten. Die erste Stufe der Trägerrakete, einer Falcon 9 von SpaceX, war zuvor bereits bei zwei Satellitenstarts zum Einsatz gekommen. Für viele macht die private Mission „Inspiration4“, die auch wissenschaftliche und karitative Ziele verfolgte, den Weg frei für den Weltraum-Tourismus.

 

Demokratisierung des Weltraums

Fly me to the moon and back … würde Sinatra heute singen. Die neuen Unternehmer des Weltraums 2.0 haben sich mit Mut und unter Einsatz disruptiver Technologien einer großen Herausforderung gestellt. Am 21. Dezember 2015 holte SpaceX seine Trägerrakete Falcon 9 erfolgreich wieder auf die Erde zurück. Eine „normale“ Premiere für SpaceX-Gründer Elon Musk, für den die Wiederverwendung (einer Stufe) der Rakete nur logisch ist. Schließlich würde auch niemand auf die Idee kommen, einen Eurostar-Zug nach einer Fahrt durch den Ärmelkanaltunnel, ein Flugzeug nach dem Hinflug oder ein Auto nach einer Stunde Fahrt zu verschrotten.

Die zumindest teilweise Wiederverwendung einer Trägerrakete ist ein bedeutender Durchbruch, welcher der Eroberung des Weltraums neuen Antrieb verleiht und einen Weltraumflug nun theoretisch für jedermann möglich macht. Ein Paradigmenwechsel, zu dem drastische Kosteneinsparungen hinzukommen. Denn die Kosten für einen Start sind um ungefähr 30 % gesunken, was nicht unerheblich ist, wenn man bedenkt, dass der Durchschnittspreis eines Starts einer Falcon von SpaceX auf über 60 Millionen Dollar geschätzt wird. Ein Kilogramm Gewicht ins All zu befördern, kostete vor 20 Jahren noch circa 25.000 Dollar, heute sind es rund 2.500 Dollar. Laut Hélène Huby, CEO von The Exploration Company, dürfte dieser Preis in den nächsten fünf Jahren auf 250 Dollar sinken. Dies wird neue Horizonte eröffnen und den Markt revolutionieren.

 

Rocket Lab – der Pionier am Markt für Kleinsatelliten

Nach SpaceX versuchen nun auch andere Trägerraketen-Hersteller, Starts von Kleinsatelliten in den niedrigen Orbit – LEO (Low Earth Orbit) – auf breiterer Basis verfügbar zu machen. Dank der Entwicklung von Satellitensystemen gehört der Markt für Kleinsatelliten (unter 500 kg) inzwischen zu den dynamischsten Segmenten der Raumfahrtindustrie. Laut der Beratungsfirma Euroconsult dürfte er bis 2030 16,2 Milliarden Euro erreichen – gegenüber 4,7 Milliarden zwischen 2011 und
2020.

Rocket Lab, der Pionier unter den Herstellern kleiner Trägerraketen, der in diesem Jahr schon vier Missionen erfolgreich beendet und insgesamt über 100 Satelliten in den Weltraum befördert hat, ist seit Anfang 2021 um über 200 % gewachsen. Das kalifornische Unternehmen hat gerade mehrere Aufträge unterzeichnet, darunter insbesondere fünf Raketenstarts im Auftrag von BlackSky, eine Satellitenmission zum Mars mit der NASA und sogar ein privater Auftrag für die Entsendung einer Sonde zur Venus im Jahr 2023.

Die Konzeption seiner Trägerraketen, die in der gesamten Produktionskette Umweltaspekten Rechnung trägt, sorgt für Skaleneffekte und gewährleistet die Unabhängigkeit des Unternehmens durch die Errichtung eigener Startplätze und die vielfältige Kundschaft an Märkten wie z.B. Vernetzung, Erdbeobachtung oder Weltraumfabriken. Denn der Beförderung von Weltraumausrüstung, wie z. B. Satelliten, Bauteilen von Rechenzentren oder 3D-Druckern, kommen auch Fortschritte in anderen Bereichen zugute, etwa die Miniaturisierung von Technologien oder der 3D-Druck, was die Preise weiter sinken lässt.

 

It’s all about exploration!

Das US-Unternehmen Planet, das 2010 von drei Wissenschaftlern der NASA gegründet wurde, steht beispielhaft für diese neue Ära der Raumfahrt. Es hat vor kurzem einen mehrjährigen Vertrag mit SpaceX abgeschlossen, durch den Satelliten zu geringen Kosten in den niedrigen Orbit befördert werden können. Das auf Satellitenfotografie spezialisierte Unternehmen verfügt zurzeit über rund 200 Nanosatelliten im niedrigen Orbit, die jeden Tag mehr als drei Millionen Aufnahmen von der Erde machen. Dies liefert strategische Daten für eine zunehmende Anzahl an Sektoren: Von der Landwirtschaft über Energieversorger bis hin zu Versicherungen oder NGOs (nichtstaatliche Organisationen), die sich mit dem Klimawandel, der Biodiversität und der Entwaldung befassen.

Die Überwindung der digitalen Kluft, die Erdbeobachtung, die Beobachtung des Klimawandels – all dies sind Bereiche, in denen die Raumfahrt des 21. Jahrhunderts dank wiederverwendbarer Raketen eine neue Ära mit noch unbekannten, aber vielversprechenden Aussichten einläutet. Megan McArthur, die Pilotin der Falcon 9, die sie zusammen mit dem französischen Astronauten Thomas Pesquet zur ISS befördert hat, hat es auf den Punkt gebracht: It’s all about exploration!