Olivier de Berranger

Macroscope: US-Zentralbank: Freie Hand, aber Finger am Abzug

Der anhaltende Rückgang der Inflation verschafft den Zentralbanken Handlungsspielraum. Im Zuge dieser Entwicklung scheint das berühmt-berüchtigte Ziel von 2 % sowohl in den USA als auch in der Eurozone zum Greifen nahe zu sein. Im August lag die Inflation in Deutschland über ein Jahr bei genau 2 % und in Frankreich bei 1,9 %; für die gesamte Eurozone belief sie sich allerdings auf 2,2 %. In den USA weist die VPI-Inflation[1], die bevorzugte Kennzahl der Fed, einen Wert von 2,5 % auf. Die Kerninflation liegt zwar etwas höher, aber die Tendenz ist vergleichbar. Die von Citigroup berechnete Überraschungsinflation liegt im negativen Bereich, was darauf hindeutet, dass die Ökonomen die Geschwindigkeit des Inflationsrückgangs seit einigen Monaten unterschätzen.

Wie der Fed-Vorsitzende Jerome Powell auf dem Symposium in Jackson Hole Ende August feststellte, „ist die Zeit für eine Anpassung der Strategie gekommen“. Die US-Zentralbank wird also einen Kurswechsel vornehmen und auf ihrer nächsten Sitzung am 18. September eine Phase von Zinssenkungen einleiten. Doch diese Äußerung ist – und das gewiss mit Absicht – ambivalent. Denn „Anpassung der Strategie“ impliziert auch die Änderung des vorrangigen Ziels der Fed.

 

US-Beschäftigungslage wird zum Gradmesser

Ihr Mandat umfasst nämlich drei Aufgabenbereiche, und zwar Preisstabilität, Vollbeschäftigung und Erhalt eines moderaten Niveaus der langfristigen Zinsen. Das Nachgeben der Inflation ermöglicht der US-Notenbank, sich von nun an auf die Sicherstellung eines robusten Arbeitsmarkts zu konzentrieren. Das ist auch gut so, da sich in den USA Probleme bemerkbar machen. Das Versiegen von Stellenangeboten, die rückläufige Inanspruchnahme von Zeitarbeit oder aber der Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit – all das sind Spannungen, die bislang unter der Oberfläche spürbar waren, nun aber zutage treten. Angesichts der Arbeitslosenquote von 4,3 % im Juli kommt das, was die Experten die Sahm-Regel nennen, zum Tragen. Sie besagt, dass die USA systematisch in eine Rezession rutschen, wenn der Durchschnitt der Arbeitslosenquote der vergangenen drei Monate um mehr als 0,5 % über ihrem niedrigsten Niveau der vergangenen zwölf Monate liegt. Diese Regel wurde seit 80 Jahren nicht widerlegt. Die Arbeitslosenquote hat diese Schwelle überschritten, was für die Fed und die Märkte angesichts der Anfang August durchgemachten Turbulenzen beunruhigend ist. Allerdings ist die Sahm-Regel nur eine historische Statistik, die eine schnelle Verschlechterung des Arbeitsmarkts widerspiegelt. Es handelt sich keineswegs um einen starren Automatismus, der sich unweigerlich wiederholt. Denn hat sich nicht auch die Inversion der Zinskurve, die ebenfalls als Vorbote einer Rezession betrachtet wird, seit zwei Jahren als falsches Signal erwiesen?

Für die Märkte beginnt also eine neue Phase, die von der Robustheit der Konjunktur, insbesondere der Beschäftigungslage geprägt sein wird. Bei der Geldpolitik lautet die Frage also nicht mehr „Wann kommt die Wende?“, sondern vielmehr „Wie viele Zinssenkungen wird es geben?“ Die Zentralbanken haben zurzeit den Finger am Abzug. Investoren müssen nun abschätzen, in welchem Rhythmus die Schüsse abgegeben werden.

 

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[1] Verbraucherpreisindex