Alexis Bienvenu

Rückkehr des Drachen: China mit neuen wirtschaftlichen Prioritäten

Von Alexis Bienvenu, Fondsmanagerbei LFDE

Eine viertausend Jahre alte Zivilisation kann sich mit dem Ausbau ihrer Macht durchaus Zeit lassen. Zuletzt steckte China in einer Konjunktur- und Börsenflaute fest. Seit der Wiederöffnung der Wirtschaft nach der Coronakrise hatte die Volkswirtschaft mit  schwächelndem Wachstum, einer weitreichenden Immobilienkrise und einem Vertrauensverlust der Verbraucher zu kämpfen.–Passend zum Jahr des Drachen,  findet nun jedoch im Reich der Mitte ein wahres Feuerwerk statt. Strategisch klug kurz vor Beginn der Goldenen Woche, mit der die Gründung des kommunistischen Staates gefeiert wird, kündigten die Behörden Ende September innerhalb von drei Tagen eine Reihe von Maßnahmen zur Unterstützung der Wirtschaft an. Dies löste an den lokalen Aktienmärkten innerhalb einer Woche eine Börsenrally von fast 25 % aus. Chinesische Aktienstrategien rückten über Nacht wieder in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und profitierten vollumfänglich von diesem Aufschwung. Der Funke sprang auch auf die westlichen Märkte über, wo einige mit der chinesischen Wirtschaft in Verbindung stehende Titel einen beachtlichen Anstieg verzeichneten.

In der Tat hat der vorgelegte Plan im Gegensatz zu den kleinteiligen Maßnahmen der letzten beiden Jahre großes Potenzial, da er sich nicht nur auf den finanziellen Bereich bezieht. Er besteht aus fünf Komponenten, die sich gegenseitig verstärken. Sie betreffen die Geldpolitik, die Banken, den Immobiliensektor, den Haushalt und auch die Finanzbranche – denn selbst ein kommunistisches Regime muss die Börse als wesentliches Instrument der Wirtschaft ernst nehmen.

Außerdem ist der Plan wesentlich ausgereifter als frühere Rettungspakete, insbesondere im Vergleich zu dem imposanten Plan von November 2008, der sich hauptsächlich auf den Infrastrukturausbau konzentrierte. Die darauf folgende Inflation und die als Katalysator wirkende Immobilienblase führten zu Ungleichgewichten, von denen einige die aktuellen Schwierigkeiten verursacht haben. Das gilt insbesondere für die Exzesse im Immobiliensektor.

Strategiewechsel: Stärkung des Binnenkonsums im Fokus

Um diese bedeutende Wende zu vollziehen, brauchte China die unfreiwillige Hilfe seiner Wettbewerber – vor allem die der Vereinigten Staaten. Diese dienten als Wegbereiter in zweifacher Hinsicht: Zum einen zwangen sie China mit der Auslösung eines Zollkriegs während der Präsidentschaft von Donald Trump dazu, die wirtschaftlichen Prioritäten zu überdenken. Die teilweise Behinderung von Chinas Exporten und einiger seiner strategischen Importe, etwa modernste elektronische Bauteile, führten dazu, dass das Land für den Ausbau seines Wohlstands nicht mehr ausschließlich auf die Weiterentwicklung des Exports setzen konnte. Die Stärkung des Binnenkonsums wurde zu einem dringenden Anliegen. Der angekündigte Plan nimmt sich dieses Themas voll an. Zum anderen haben die von der US-Notenbank (Fed) im September beschlossenen geldpolitischen Lockerungsmaßnahmen China die Möglichkeit gegeben, ohne das Risiko einer erheblichen Schwächung der eigenen Währung gegenüber dem US-Dollar seine Leitzinsen zu senken. Schließlich wird dieser künftig nicht mehr durch die hohen US-Zinsen gestärkt. So ist es womöglich kein Zufall, dass die Ankündigungen aus China wenige Tage nach den Bekanntmachungen der Fed erfolgten und nicht davor.

Als geduldiger Beobachter des westlichen Umbruchs hat China zwangsläufig aus den wirtschaftlichen Manövern seiner Kunden bzw. Wettbewerber gelernt. Im Gegenzug unterstützt das Land, wenngleich unfreiwillig, einen Teil der westlichen Wirtschaft. In erster Linie gilt dies für die europäische Wirtschaft , die darauf angewiesen ist, dass sich China in guter Verfassung befindet. Um sich jedoch trotz der Konkurrenz aus Indien und des Appetits der USA noch stärker von den anderen Nationen abzuheben, muss die chinesische Regierung schnell weitere Reformen einleiten, vor allem zur Bekämpfung des Bevölkerungsrückgangs. Nur dann kann das Jahr des Holz-Drachen den Beginn des Jahrzehnts markieren, das 2036 in das Jahr des Feuerdrachen mündet, bis schließlich 2049 die Volksrepublik China ihr hundertjähriges Bestehen feiert. Angesichts der aktuellen Situation bestehen kaum Zweifel, dass der Drache kein weiteres Feuer – bzw. gemäß dem lokalen Brauch kein die Wirtschaft belebendes Wasser – mehr speit.

Haftungsausschluss
Die ausgedrückten Meinungen entsprechen den Einschätzungen des Verfassers. LFDE übernimmt dafür keine Haftung. Die genannten Unternehmen und Sektoren dienen als Beispiele. Es ist nicht garantiert, dass sie im Portfolio enthalten bleiben. Redaktionsschluss: 04.10.2024