Olivier de Berranger

Macroscope : Finanzmärkte von starken Kontrasten geprägt

Paris, 16. Mai 2023 – Die Komplexität der Konjunktur und der Dynamik der Märkte zusammenzufassen ist niemals eine leichte Aufgabe. Dennoch lassen sich 2023 die verschiedenen Situationen, mit denen wir konfrontiert sind, mit einem Wort charakterisieren: Dichotomie.

Gegensätzliche Situationen allerorten

Dichotomie zwischen den amerikanischen Technologieriesen, die mit ihrer unverschämt guten Form an der Börse die Märkte fast allein in die Höhe treiben, und den Small-Cap-Unternehmen, die sich unablässig abmühen. Dichotomie dann zwischen den Anleihenmärkten, die über vielleicht übermäßig invertierte Zinskurven das Szenario einer tiefen Rezession vorwegnehmen, und den Aktienmärkten, die im Hinblick auf die Bewertungen deutlich weniger ungünstige Aussichten einpreisen. Dichotomie auch zwischen den Unternehmensergebnissen, die im ersten Quartal insgesamt solide waren, wenngleich sie an vor den Veröffentlichungen stark nach unten korrigierten Schätzungen gemessen wurden, und den makroökonomischen Zahlen, die immer bescheidener ausfallen.

Dichotomie auch wieder – vor allem in der Eurozone – zwischen einem robusten Dienstleistungssektor, der sich mit einer voraussichtlich rentablen Sommersaison für die Tourismusbranche weiter stark entwickeln dürfte, und einer eher flauen Dynamik in der Industrie. Dichotomie schließlich ebenfalls zwischen der US-Notenbank (Fed), die bis zum Jahresende ein leichtes Schrumpfen des BIP und einen Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 4,5 % in Kauf nimmt und für die kommenden Monate keine Zinssenkung plant, und den Märkten, die bis zum Januar 2024 einen Rückgang der Leitzinsen der Zentralbank um mindestens 1 % erwarten, was vier Zinssenkungen entspräche.

Auflösung der Dichotomie könnte schmerzhaft werden

Derart kontrastreiche Situationen sind nicht selten – weder in der Wirtschaft noch an den Märkten. Allerdings dauern sie nie sehr lange an und enden in der Regel mit einer für die Anleger mehr oder weniger schmerzhaften Annäherung. Insbesondere die starke Abweichung zwischen der Haltung der Fed und den Erwartungen des Marktes bezüglich eventueller Zinssenkungen sowie die Situation des amerikanischen Aktienmarktes, dessen Rally zu sehr von wenigen großen Technologieunternehmen angetrieben wird, sind äußerst fragile Bereiche. Denn sie bringen das prekäre Gleichgewicht zum Ausdruck, auf das sich die Märkte derzeit stützen: Der allgemeinen Auffassung nach ist eine sanfte Landung, also eine Konjunkturabkühlung ohne Rezession, zwar möglich; im Falle einer Verschlechterung der Lage würden die Zentralbanken jedoch schnellstens wieder schwerere Geschütze auffahren – auch wenn die Inflation, die zwar tendenziell rückläufig ist, noch für einige Quartale hoch bleiben wird.

Angesichts von Szenarien, die sich nur schwer miteinander vereinbaren lassen, steht uns eine äußerst schwierige Gratwanderung bevor. Vor fast vier Jahrhunderten hat der Kardinal von Retz es sehr treffend formuliert: „Die Beendigung der Zweideutigkeit hat immer einen Preis“. Aktuell scheint alles auf eine Auflösung der Dichotomie hinzudeuten, die die Märkte seit einigen Monaten kennzeichnet – und es sieht kaum danach aus, als könnte dies völlig reibungslos geschehen.

Von Olivier de Berranger, CIO bei LFDE

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