Macroscope: EU-Vergeltungsmaßnahmen – richtige Antwort auf US-Zölle?
Von Alexis Bienvenu, Fondsmanager bei LFDE
Paris / Frankfurt am Main, 08.04.2025 – Trotz der Turbulenzen an den Aktienmärkten, die auf die Ankündigung neuer Zölle am 2. April folgten, erklärte der US-Präsident auf dem Flug zu einem seiner Golfplätze strahlend: „It‘s going very well“.
US-Zölle erschüttern Märkte
Mit Einbrüchen von seltenem Ausmaß, wie etwa einem Minus von 9 % bei Meta, Apple und Amazon, verlor der S&P 500 am 3. April insgesamt knapp 5 % – womit an nur einem Tag fast zwei Billionen US-Dollar an Marktkapitalisierung weggespült wurden. Doch zumindest, so Trump, sei der Gerechtigkeit Genüge getan. Amerika lasse sich nicht mehr von Ländern missbrauchen, die böswillig seine übermäßige Freigiebigkeit ausnutzten. Der Außenhandel werde sich schnell erholen, denn auf Produkte, die beispielsweise aus Lesotho importiert würden, würden Zölle in Höhe von 50 % erhoben, was auch für Saint-Pierre und Michelon oder Laos gelte. Die Liste der verschiedenen Zölle ist in Bezug auf die betroffenen Länder sehr detailliert. Selbst die Falklandinseln werden aufgeführt (3.500 Einwohner, aber deutlich mehr Pinguine!).
Inszenierung statt ökonomischer Realität
All das kann fassungslos machen. Es lässt sich aber auch eine Lehre ziehen, so surreal sie auch sein mag: Vielmehr als die Realität ist für den Präsidenten entscheidend, welche Rolle er einnimmt. Diese Rolle ist klar: Ein Präsident rettet die Vereinigten Staaten vor der Unterwerfung durch böse ausländische Mächte. Tatsächlich bürdet er den amerikanischen Verbrauchern unmittelbar eine massive Erhöhung der Preise für importierte Güter auf, was wahrscheinlich einen Rückgang des Konsums nach sich ziehen wird, der letztlich sogar zu einer Rezession führen könnte. Dies ist umso wahrscheinlicher angesichts der voraussichtlichen Vergeltungsmaßnahmen, die sich direkt auf die amerikanischen Exporte auswirken werden. Es käme also zu einer doppelten Bremswirkung, nämlich beim Konsum und bei der Produktion.
Zollformel nicht haltbar
Die wirtschaftliche Realität ist dermaßen weit von dem entfernt, was den Präsidenten beschäftigt, dass selbst die Argumentationsgrundlage für die Zölle keinen Wert hat. Denn die Berechnung der sogenannten „reziproken“ Zölle beruht auf einer Formel, die kein renommierter Ökonom für geeignet hält. Sie spiegelt allein das Verhältnis des amerikanischen Handelsdefizits gegenüber einem Land zum gesamten Handelsaustausch mit diesem Land wider; erhobene Zölle werden nicht berücksichtigt. Im Grunde betrachtet diese Formel jedes Handelsdefizit als ein Symptom unzureichender Zölle, wenngleich die Gründe für das Defizit vielfältig sein können und nicht zwangsläufig problematisch sind. Das ist beispielsweise der Fall, wenn ein Produkt nur aus einem bestimmten Land importiert werden kann, weil es über das notwendige Know-how verfügt oder einen entsprechenden Platz in der Wertschöpfungskette hat. So kann ein Wein aus der Bourgogne eben nur aus dieser Region kommen. Ein Defizit bei dieser Art von Handelsaustausch ist nicht zwangsläufig durch unzureichende Zölle bedingt.
US-Dienstleistungen als mögliche Zielscheibe europäischer Zölle
Der in Washington angewandten Formel mangelt es jedoch nicht nur an wirtschaftlicher Plausibilität. Sie lässt auch fast die Hälfte des Außenhandels außer Acht, da sie nur den Austausch von Waren und nicht den von Dienstleistungen berücksichtigt. Gerade bei letzterem verzeichnen die Amerikaner allerdings in der Regel einen Überschuss. Würden die in diesem Bereich defizitären Europäer die Formel von Trump auf den Austausch von Dienstleistungen anwenden, müssten sie die von beispielsweise Google, Visa oder Disney erwirtschafteten Erträge massiv besteuern. Diese indirekt vom US-Präsidenten angeregte Idee findet mittlerweile auch in Brüssel Anklang.
Letztendlich hat Trump wohl die historische Wahrheit von Handelskriegen nicht richtig eingeschätzt. Untersucht man Handelskriege, die die USA oder andere Länder, einschließlich der europäischen, irgendwann in ihrer Geschichte einmal geführt haben, so stellt man fest, dass diese Kriege dermaßen hohe Kosten in Form von Vergeltungsmaßnahmen verursacht haben, dass die ursprünglichen Maßnahmen in der Regel letzten Endes wieder zurückgenommen wurden. Dies war beispielsweise der Fall im von US-Präsident William McKinley geführten Handelskrieg – ein Vorbild, auf das sich Trump beruft. Allerdings erklärte der von 1897 bis 1901 amtierende, protektionistisch eingestellte Präsident in seiner letzten Rede vor seiner Ermordung: „Handelskriege lohnen sich nicht. Eine Politik des guten Willens und freundschaftlicher Handelsbeziehungen verhindert Vergeltungsmaßnahmen.“[1] Es bleibt zu hoffen, dass Trump zu demselben Schluss kommt wie sein Idol, noch bevor sein letzter Tag anbricht.