Olivier de Berranger

Macroscope : Ein Jahr zu viel

Paris, 27. Februar 2023 – Es ist ein Jahrestag, den man lieber nicht begehen möchte. Doch es ist bereits ein Jahr her, dass die russische Armee in den Osten der Ukraine eingefallen ist, mit dem Ziel, das Territorium Russlands auszuweiten und die Regierung in Kiew zu stürzen. Es brauchte nur wenige Tage, bis sich die Illusion eines Blitzkriegs in Luft auflöste. Militärisch, wirtschaftlich und geopolitisch wird dieser wahrscheinlich lang andauernde Krieg schwerwiegende Konsequenzen haben.

Zunächst auf militärischer Ebene: Der ukrainischen Armee ist es gelungen, die vorhergesagte vernichtende Niederlage zu verhindern. Unterstützt mit Ausrüstung und Aufklärung durch die USA und die europäischen Länder konnte die Ukraine die Pläne Moskaus durchkreuzen und im Herbst einige siegreiche Gegenoffensiven verzeichnen. Dieser ursprüngliche Bewegungskrieg ist zu einem eher statischen Konflikt geworden, einem Stellungskrieg, der auf dem Einsatz schwerer Artillerie beruht. Für die Staaten, die die Ukraine unterstützen, bedeutet dieser sehr intensive Konflikt, dass sie ihre Herangehensweise auf militärisch-industrieller Ebene von Grund auf überdenken müssen. Die Länder des Westens hatten eine Friedensarmee und müssen sich nun angesichts der Bedrohung, die durch diesen Konflikt auf Europa lastet, mit einer Kriegsarmee ausstatten. An die Stelle eines bedarfsorientierten Konzepts muss ein Konzept der Bevorratung treten, und das muss schnell geschehen. Doch wie in jeder Krise wurde das Fundament der Europäischen Union gefestigt, dieses Mal auf militärischer Ebene und im Bereich Energie.

Beschleunigte Energiewende in Europa

Auf wirtschaftlicher Ebene: Diese militärische Aggression durch Russland hat massive Sanktionen nach sich gezogen, die aber nicht bis zum Äußersten gehen, da die europäische Wirtschaft immer noch stark von russischem Gas abhängig ist, vor allem im Osten. Dieser Energiepreisschock hat Herausforderungen für die Zentralbanker mit sich gebracht, die nun aufgefordert sind, dem Höhenflug der Preise ein Ende zu machen, indem sie mit restriktiven Maßnahmen eine Preis-Lohn-Spirale verhindern. Zudem veranlasst dieser Konflikt Europa dazu, die Energiewende zu beschleunigen. Die Diversifizierung der Energieversorgung erfolgt durch die Intensivierung von Investitionen in vor Ort erzeugte Energie, also in erneuerbare Energien und Kernkraft. Sonne und Wind haben 2022 zum ersten Mal Gas als Energieträger für die europäische Stromerzeugung überholt. Das hat Symbolcharakter. Die Energiewende muss gleichermaßen aus ökologischen und strategischen Gründen noch mehr an Fahrt aufnehmen.

Beschleunigte Deglobalisierung

Auf geopolitischer Ebene: Dieser Konflikt hat auch eine Reihe bereits bestehender Trends beschleunigt. Dazu zählt zunächst einmal die Deglobalisierung. Nach der durch die Corona-Pandemie ausgelösten Krise, die die Anfälligkeit und Fragmentierung der Lieferketten ans Licht gebracht hat, stärkt dieser Konflikt den Willen zu mehr Souveränität und Unabhängigkeit in bestimmten strategischen Sektoren. Des Weiteren verschärft sich die Polarisierung der Welt. Im Westen werden die transatlantischen Bande enger, während im Osten China seine Position als zweite Weltmacht weiter festigt, sowohl als wirtschaftlich attraktiver Standort als auch in politischer bzw. diplomatischer Hinsicht.

Der Krieg beschleunigt Veränderungen und zwingt alle Beteiligten – Staaten, Unternehmen, Verbraucher und Anleger – dazu, sich anzupassen.

Von Olivier de Berranger, CIO bei LFDE

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