Olivier de Berranger

Spotlight: Aktueller Blick auf die Kapitalmärkte vor dem Hintergrund des Russland-Ukraine-Kriegs

 

Olivier de Berranger, stellvertretender Generaldirektor und CIO, im Dialog mit Pierre Puybasset, Sprecher des Fondsmanagements von LFDE.

 

Was sind die wichtigsten Folgen des russisch-ukrainischen Konflikts für die Märkte?

Wir befinden uns am Anfang des Konflikts und das Risiko einer militärischen Eskalation kann nicht ausgeschlossen werden. Der russische Angriff hat durch sein Ausmaß und die eingesetzten Mittel unbestreitbar überrascht und ist für die dort lebenden Menschen eine Katastrophe. Es ist schwierig die Reaktionen des russischen Präsidenten vorherzusagen, wie wir gesehen haben.

Die ersten Auswirkungen am russischen Kapitalmarkt: Die russische Börse verliert seit Jahresbeginn mehr als 50 % und der Rubel ist um mehr als 15% gefallen.

Ganz allgemein sind die wirtschaftlichen Folgen inflationärer Natur: Der  Schock bei den Energiepreisen könnte das globale Wachstum beeinträchtigen.

Auf übergeordneter globaler Ebene markiert der Konflikt zudem den Rückgang des Einflusses und der Fähigkeit des Westens, die geopolitischen Konflikte in der Welt zu regulieren und mit Diplomatie und Dialog zu lösen.

 

Wie wirkt sich diese Krise auf den Energiebereich aus?

Der Preis für ein Barrel Öl stieg seit acht Jahren das erste Mal auf über 100 $. Der Preis für nach Europa geliefertes Gas stieg um mehr als 30%. Zur Erinnerung: Gas deckt ein Viertel des europäischen Energiebedarfs, von dem fast 40% aus Russland stammen. Letzteres liefert auch ein Viertel des in Europa verbrauchten Öls. Die Auswirkungen auf die Energiepreise innerhalb der Eurozone könnten daher sehr weitreichend sein.

 

Wie sieht es mit anderen Rohstoffen aus?

Man muss wissen, dass Rusal der größte Aluminiumproduzent außerhalb Chinas ist, dass Norilsk z. B. 22 % des weltweiten Nickels, 44 % des Palladiums, 15 % des Platins usw. produziert. Viele Mineralien, die insbesondere für die Energiewende, für Halbleiterproduktionsketten und damit für die Elektrifizierung von entscheidender Bedeutung sind, werden in der Ukraine oder in Russland produziert. Auch Rohstoffe wie Weizen, Titan oder Stahl sind betroffen. Paradoxerweise könnte dies die Kosten beispielsweise für die Energiewende in die Höhe treiben.

 

Mit welchen Auswirkungen auf die wichtigsten Währungen ist zu rechnen?

Dies ist zweifellos der Bereich, in dem Spannungen potenziell die Weltwirtschaft am stärksten beeinträchtigen können. Die Blockade von Swift ­- das Nachrichtensystem, das internationale Überweisungen ermöglicht – wurde von den Märkten besonders befürchtet. Mehr als 11.000 Banken sind mit diesem System verbunden und eine Trennung der russischen Banken würde das gesamte Bankensystem treffen. Der europäische Bankensektor wurde an den Märkten übrigens am stärksten abgestraft, verlor im Laufe des Donnerstags mehr als 10 %. Die europäischen und US-amerikanischen Institutionen scheinen diese Sanktionen jedoch derzeit nicht in Betracht zu ziehen, ebenso wenig wie ein Verbot für russische Unternehmen, in US-Dollar zu handeln.

Heute, am 25.02., hat die anfängliche Angst der Märkte vor einer systemischen Krise des Finanzsystems zunächst nachgelassen.

 

Wie agieren wir in unserem Portfoliomanagement?

Wir haben keine russischen Wertpapiere in unserem Portfolio, aber wir sind auf drei Ebenen betroffen:

  1. Einige im Portfolio gehaltene Unternehmen wie z. B. Stellantis, Nestlé, Danone oder Recordati sind mit 5 bis 10 % ihres Umsatzes in Russland engagiert. Wir verfolgen daher genau, wie sich mögliche Sanktionen auswirken könnten. Auch übertriebene Verkäufe könnten Einstiegspunkte darstellen.
  2. Der Anstieg der Materialkosten könnte Auswirkungen auf die Gewinnspannen der Unternehmen und die Lieferketten haben, die bereits durch Covid geschädigt wurden. Da wir nicht direkt bei den Rohstoffproduzenten engagiert sind, die von den steigenden Preisen profitieren werden, werden wir darauf achten, ob unsere Unternehmen in der Lage sind, ihre Preise zu erhöhen, um ihre Gewinnmargen zu halten. Das Thema Pricing Power, das bereits seit Anfang des Jahres präsent ist, wird durch den russisch-ukrainischen Konflikt noch verstärkt.
  3. Die dritte Auswirkung ist ein allgemeiner Rückgang der Märkte für risikoreiche Vermögenswerte weltweit und eine Ausweitung der Risikoprämien für Kredite.

 

Wie reagieren die Zentralbanken vor diesem Hintergrund?

Die Zentralbanken hatten einen Straffungszyklus eingeleitet, der auf einer hohen Inflation und einer Verlangsamung des Wachstums beruhte, zwei Säulen, die durch diese Ereignisse verstärkt wurden. Die Märkte erwarten eine Abschwächung des Straffungszyklus: weniger starke und weniger häufige Zinserhöhungen. Die Europäische Zone, die in direktem Kontakt mit dem Konflikt steht, könnte besonders vorsichtig sein und die Europäische Zentralbank ihre Ambitionen, ihre Bilanzen zu verkleinern, Vermögenswerte aufzukaufen und die Zinsen zu erhöhen, nach unten korrigieren.

 

Auf welche Faktoren werden wir weiterhin besonders achten?

Wie erwähnt, befinden wir uns erst am Anfang des Konflikts, der in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag begonnen hat. Die Gefahr einer bewaffneten Reaktion des Westens scheint jedoch gleich null zu sein. Die Antworten werden unter anderem in Form von Wirtschaftssanktionen erfolgen, die das globale Wachstum, das Wachstum in Europa und das Wachstum von Unternehmen beeinträchtigen könnten.

Auch wenn geopolitische Krisen statistisch gesehen Einstiegspunkte in die Märkte darstellten, ist es wohl noch zu früh, um Engagements unterschiedslos global zu erhöhen. Im Moment scheint der Schock über die Rohstoffpreise kurzfristig inflationär zu sein und könnte mittelfristig zu einem rezessiven Schock führen. Andererseits könnten sich einige Titel, die zu hoch bewertet wurden, oder solche, die in der Lage sind, einen Inflationsschock einzupreisen, Einstiegspunkten nähern.

Wir halten an unserer zu Beginn des Jahres bekräftigten Überzeugung fest, dass die Qualität der Unternehmensergebnisse über ihre Börsenperformance in 2022 entscheiden wird und zwar in einem Umfeld, das äußerst volatil sein wird.

 

 

Disclaimer
Investitionen in die Finanzmärkte bergen das Risiko eines Kapitalverlusts. Die in diesem Dokument genannten Wertpapiere dienen lediglich der Veranschaulichung. Sie sind nicht unbedingt in unserer Vermögensverwaltung vertreten. Die Überzeugungen entsprechen denen unserer Verwaltung zum Zeitpunkt der Erstellung des Dokuments und können sich im Laufe der Zeit ändern.